Experimente alleine sind einfach nicht genug. Im Labor kann man zwar höchst präzise messen, welche Produkte bei einer chemischen Reaktion entstehen, aber was in den winzigen Sekundenbruchteilen passiert, in denen die Reaktion abläuft, und was man daran vielleicht noch verbessern könnte, das lässt sich nicht direkt beobachten. Daher ist es so wichtig, zuverlässige Computermodelle chemischer Reaktionen zu entwickeln.
Daran arbeitet Prof. Maren Podewitz mit ihrem Team am Institut für Materialchemie der TU Wien. Nun wurde sie von der American Chemical Society mit dem prestigeträchtigen „COMP OpenEye Cadence Molecular Sciences Outstanding Junior Faculty Award” ausgezeichnet. Erstmals geht diese Auszeichnung damit an eine österreichische Universität – Podewitz gehört zu den wenigen Nicht-US-Amerikaner_innen, die diesen Preis bekommen haben.
Zu kompliziert für Supercomputer
Vor ziemlich genau hundert Jahren wurden die Grundgleichungen der Quantentheorie erstmals aufgeschrieben, und fast genauso lange versucht man damit auch etwas über chemische Bindungen und Moleküle herauszufinden. Ganz exakt gelingt das allerdings nie: „Eine chemische Reaktion größerer Moleküle quantenmechanisch vollständig und exakt zu berechnen, das ist selbst mit den besten Supercomputern unmöglich“, sagt Maren Podewitz. „Man muss daher genau überlegen, mit welchen Näherungen man der Wahrheit möglichst nahekommt. Oft ist es notwendig, mehrere unterschiedliche Herangehensweisen miteinander zu kombinieren.“
In den letzten zwei Jahrzehnten sind diese Methoden deutlich komplexer und leistungsfähiger geworden, erklärt Maren Podewitz: „Früher konnte man vielleicht ein Molekül im Vakuum bei einer Temperatur von null Kelvin berechnen. Heute schaffen wir es, kompliziertere Reaktionen zu modellieren, die bei bestimmten Temperaturen in Anwesenheit von Katalysatoren stattfinden, umgeben von einem Lösungsmittel.“
Chemie in virtuellen 3D-Welten
Wie sehr sich dadurch das Verständnis chemischer Reaktionen verbessern lässt, demonstriert das Team von Maren Podewitz unter anderem in virtuellen Räumen: Die Simulationsergebnisse können so aufbereitet werden, dass man sich mit VR-Brille in eine virtuelle 3D-Welt begeben kann. Dort befindet man sich direkt zwischen den Molekülen, kann ihre Bewegung genau beobachten und sogar gezielt Kraft auf ganz bestimmte Atome ausüben.
„Speziell für die Entwicklung von Katalysatoren ist es wichtig, über den zeitlichen Ablauf der Reaktion genau bescheid zu wissen“, sagt Maren Podewitz. „Es ist nicht immer klar, welcher Bereich eines Moleküls zu welchem Zeitpunkt welche Rolle spielt. Wenn man das versteht, kann man vielleicht eine bestimmte funktionelle Gruppe gegen eine andere ersetzen und dadurch einen besseren Katalysator erhalten.“
Entwicklung ausgeklügelter Methoden
Nicht alle Atome eines Moleküls, nicht alle Elektronen eines Atoms sind bei solchen Computersimulationen gleich wichtig. In manchen Fällen etwa kann man sich die schweren Atomkerne als unbewegliche Objekte vorstellen und nur die Bewegung der leichteren, mobileren Elektronen untersuchen. Manchmal lohnt es sich, einen bestimmten Bereich eines größeren Moleküls präziser zu analysieren als einen anderen. Manchmal kann es die beste Strategie sein, die Grundgleichungen der Quantentheorie zu verwenden, manchmal setzt man wohlerprobte Näherungsmethoden ein, etwa die Dichtefunktionaltheorie, für die 1998 der Chemie-Nobelpreis an Walter Kohn vergeben wurde. Ein Lösungsmittel, das vielleicht nur einen geringen, indirekten Einfluss auf die Reaktion hat, muss im Gesamtmodell anders berücksichtigt werden als ein Molekül, das direkt an der Reaktion beteiligt ist.
All diese Ansätze und Techniken führt Maren Podewitz mit ihrem Team auf systematische Weise zusammen. „Wir validieren unsere Methoden dann ganz gezielt anhand von Reaktionen, die man bereits gut kennt“, sagt Podewitz. Nur dadurch kann man sich darauf verlassen, dass die Methoden auch dort richtige Ergebnisse liefern, wo man in bisher unerforschtes Terrain vordringt.
Maren Podewitz
Maren Podewitz studierte Chemie in Jena und an der ETH Zürich, wo sie 2010 promovierte. Danach wechselte sie als Postdoc an die UCLA (USA). Kurz wechselte sie dann in die Privatwirtschaft und entwickelte statistische Modelle für eine Versicherung, doch ihre Begeisterung für Wissenschaft war dann doch stärker: Sie ging an die Universität Innsbruck, wo sie sich intensiv mit der Modellierung katalytischer Reaktionen befasste. 2021 schließlich nahm sie eine Assistenzprofessur an der TU Wien an.
Nun wird Maren Podewitz von der American Chemical Society für ihre Forschung ausgezeichnet: Sie erhält den „ACS COMP OpenEye Cadence Molecular Sciences Outstanding Junior Faculty Award“. Dieser Preis wird an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die mit besonders bedeutsamen und neuen Ergebnissen auf sich aufmerksam gemacht haben.
Rückfragehinweis
Prof. Maren Podewitz
Institut für Materialchemie
Technische Universität Wien
+43 1 58801 165311