Die COVID-19-Pandemie hat uns drastisch vor Augen geführt, wie wichtig Impfungen nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene sind. Dennoch fokussieren die Impfprogramme der meisten Länder Europas – inklusive Österreich – zu einem großen Teil auf Kinderimpfungen. Gerade vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung und den zunehmenden Antibiotika-Resistenzen sollte daher über Erweiterungen der Impfkonzepte nachgedacht werden. Deshalb setzt sich der Österreichische Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) gemeinsam mit dem europäischen Dachverband Vaccines Europe für eine Ausweitung der derzeit bestehenden nationalen Impfstrategien ein und stellt dazu ein eigenes Strategiepapier vor. Das Thema Erwachsenenimpfungen wird in den nächsten Jahren sogar noch mehr in den Fokus rücken, denn die pharmazeutischen Unternehmen forschen und entwickeln viele neue Impfstoffe, von denen die meisten für Erwachsene bestimmt sind. Viele davon sollen zukünftig auch gegen Krankheiten schützen, gegen die es bisher keine Impfstoffe gab. In vielen Fällen ist die Forschung und Entwicklung bereits sehr weit fortgeschritten. Wenn die Entwicklung in diesem Tempo weitergeht, werden diese Impfstoffe in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen.
Wie man an der COVID-19-Pandemie gesehen hat, können Infektionskrankheiten desaströse Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität und Mortalität von Erwachsenen haben, sowie die Funktionsfähigkeit von Gesundheitssystemen und der Wirtschaft negativ beeinflussen. „Genau deshalb sind neben Kinderimpfkonzepten auch Erwachsenenimpfprogramme so wichtig“, erläutert Mag.a Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des ÖVIH. „In Österreich haben wir ein hervorragendes Kinderimpfprogramm, aber es fehlt ein Konzept für die Erwachsenenimpfungen, die im Nationalen Impfplan empfohlen sind. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf.“
Alternde Bevölkerung
Gründe, warum Erwachsenenimpfungen auch abseits der COVID-19-Pandemie so wichtig sind, gibt es mehrere. Einer ist die alternde Bevölkerung. Bis zum Jahr 2025 wird die Gruppe der über 50-Jährigen einen Anteil von 50 % an der Bevölkerung der Europäischen Union erreichen. Das ist genau jene Gruppe, in der sich die Leistung des Immunsystems zu verschlechtern beginnt und damit anfälliger für Infektionskrankheiten macht. Mit zunehmendem Alter erhöht sich auch die Prävalenz von chronischen Krankheiten, was zu einem höheren Risiko für Komplikationen und durch Impfung vermeidbaren Erkrankungen mit weitergehenden Folgen für Lebensqualität und Selbständigkeit der Betroffenen führt.[1]
Hohe (vermeidbare) Kosten durch Infektionen
Zusätzlich verursachen Infektionskrankheiten hohe volkswirtschaftliche Kosten. Berechnungen zufolge verursacht eine Erkrankung mit Herpes Zoster, gegen den es eigentlich einen wirksamen Impfstoff gibt, alleine in Deutschland medizinische Kosten von 105 Millionen Euro pro Jahr. Auch die jährliche wiederkehrende Influenza verursacht hohe Kosten. Mit der saisonalen Influenza-Impfung könnten in Europa zwischen 248 Millionen und 332 Millionen Euro an Gesundheitsbetreuungskosten durch die Vermeidung von Arztbesuchen und stationären Aufnahmen eingespart werden. Berechnungen aus Österreich haben gezeigt, dass ein in eine Influenza-Impfung investierter Euro die Gesellschaft mit 27,23 Euro entlastet und dem Gesundheitswesen 2,81 Euro spart. Auch Pneumokokken- und HPV-Impfungen reduzieren gesamtwirtschaftlich mehr Kosten als sie verursachen. „Impfungen über die gesamte Lebensdauer können also die primäre medizinische Grundversorgung unterstützen, die Gesundheitsbudgets entlasten sowie die Lebensqualität steigern“, betont ÖVIH-Vizepräsidentin Mag.a Sigrid Haslinger.
Problem Antibiotikaresistenzen
Pro Jahr versterben weltweit etwa 700.000 Menschen aufgrund einer Antibiotikaresistenz gegen Bakterien und andere Pathogene. Ohne entsprechende Maßnahmen könnte diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf bis zu 10 Millionen Menschen pro Jahr steigen. „Impfstoffe können hier auf dreifache Weise helfen“, erläutert Dr. Christoph Jandl, Generalsekretär des ÖVIH. „Sie können das Auftreten von Infektionen verhindern oder dafür sorgen, dass es zu weniger missbräuchlichen Anwendungen von antimikrobiellen Therapien bei Virusinfektionen kommt. Außerdem können sie dafür sorgen, dass Bakterien, die bereits gegen aktuelle Therapien resistent sind, nicht weiter übertragen werden.“
All diese Gründe zeigen, wie wichtig Erwachsenenimpfprogramme wären. „Dennoch gibt es für Österreich bis heute leider noch keine breit angelegten und finanzierten Impfprogramme für Erwachsene“, bedauert ÖVIH-Präsidentin Gallo-Daniel.
Viele neue Impfstoffe in Entwicklung
Dabei wird das Thema zukünftig noch wichtiger. Eine Evaluierung von Vaccines Europe gibt erstmals einen Überblick über die Impfstoffkandidaten in der Pipeline. Derzeit sind 100 Impfstoffe in Forschung und Entwicklung, von denen 81 für Erwachsene vorgesehen sind. 27 davon sind potenzielle neue COVID-19-Impfstoffe, außerdem gibt es zehn Impfstoffkandidaten gegen das RS-Virus und neun Kandidaten, die die saisonale Influenza im Fokus haben. „Von großer Bedeutung ist aber auch, dass 46 Prozent der in Entwicklung befindlichen Vakzine Krankheiten bekämpfen sollen, gegen die es derzeit noch keinen Impfstoff gibt“, berichtet die ÖVIH-Präsidentin. Dazu gehören zum Beispiel Impfstoffe gegen die durch Zecken übertragenen Borrelien oder das Epstein-Barr-Virus, das ja im Zusammenhang mit Multipler Sklerose stehen soll. 11 Impfstoffkandidaten zielen auf Bakterien ab, die bereits resistent gegen Antibiotika sind, acht Impfstoffe werden als therapeutische Impfstoffe getestet. Wichtiges Detail: „Über 80 Prozent der Impfstoffe in den Pipelines der Hersteller werden an Erwachsenen und sogar an älteren Erwachsenen getestet“, informiert Vizepräsidentin Haslinger. „Auch das unterstreicht die Bedeutung der Erwachsenenimpfungen.“
Weitere Informationen zum Pipeline-Review finden sie unter folgendem Link
Welche Vorschläge ÖVIH und Vaccines Europe genau zum Thema Erwachsenenimpfung haben und wie es mit dem Vertrauen in Impfungen aussieht, ist Thema der Presseaussendung „Geringes Vertrauen der Österreicher:innen in Impfungen“ sowie des Strategiepapiers "Priorisierung der Impfstrategien bei Erwachsenen in Europa“.
[1] ÖVIH, Priorisierung der Impfstrategien bei Erwachsenen in Europa, Dezember 2022.
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