Trotz warnender Anmerkungen von 16 Mitgliedstaaten wird heute, Dienstag, vom Rat der EU die Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie beschlossen. Tenor dieser Statements ist, dass die neuen Regelungen die künftige Medikamentenversorgung gefährden, da ihre Kosten und Auswirkungen nicht ausreichend abgeschätzt wurden. Dies wurde auch vom Fachverband der Chemischen Industrie (FCIO) seit Beginn der Verhandlungen kritisiert: Was nun unter dem Begriff „Herstellerverantwortung“ eingeführt wird, ist die Abwälzung öffentlicher Aufgaben - die Finanzierung einer vierten Reinigungsstufe bei Kläranlagen von größeren Städten - auf zwei Wirtschaftsbranchen: Pharma und Kosmetik. „Wir weisen seit zwei Jahren darauf hin, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission völlig undurchdacht ist. Sie hat von Beginn an mit falschen Zahlen argumentiert, sowohl bei den Kosten für die Unternehmen als auch hinsichtlich der tatsächlichen Verursacher. Wenn die Richtlinie umgesetzt wird wie vorgesehen, können in einigen Jahren viele Produkte - darunter lebenswichtige Medikamente - nicht mehr angeboten werden. Das heißt, die betroffenen Patienten zahlen am Ende die Rechnung“, kritisiert Hubert Culik, Obmann des FCIO, das kurzsichtige Vorgehen. Da die Richtlinie laut mehrerer Gutachten gegen EU-Grundprinzipien verstößt, prüft der FCIO nun gemeinsam mit anderen europäischen Verbänden rechtliche Schritte.
Mit der vierten Reinigungsstufe soll die Gewässerbelastung mit Mikroschadstoffen reduziert werden. Die Europäische Kommission hat die Pharma- und Kosmetikindustrie als Hauptverursacher dargestellt, diese sollen nun mindestens 80 Prozent der Kosten für die Errichtung tragen. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass diese Zuordnung willkürlich getroffen wurde und der Beitrag von Arzneimitteln und Kosmetika an Mikroschadstoffen nur etwa 14 Prozent beträgt. Und auch die eigenen Analysen der Europäischen Kommission ergeben: Ein Großteil der kritischen „Micropollutants“ ist anderen Verursachern zuzuordnen. Als gefährlichsten Mikroschadstoff in Abwässern weist die Europäische Kommission beispielsweise Nonylphenol aus, dieser macht 70 Prozent der gesamten toxischen Belastung aus. Der Stoff ist in der EU in vielen Anwendungen seit mehr als 20 Jahren verboten, kommt jedoch durch Online-Importe von Billigtextilien aus Fernost nach Europa. „Zugespitzt ausgedrückt: Die Pharma- und Kosmetikfirmen sollen künftig dafür zahlen, dass Schadstoffe, die aus der sogenannten Wegwerfmode ins Abwasser kommen, wieder herausgefiltert werden“, erklärt Culik. Alleine dieses Beispiel zeigt, dass die Richtlinie sowohl das Verursacher- als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt.
Kosten in dreistelliger Millionenhöhe gefährden die Medikamentenversorgung
In Österreich müssen die Unternehmen jedes Jahr mit dreistelligen Millionenbeträgen kalkulieren. Auch wenn derzeit noch völlig offen ist, wie die Aufteilung erfolgen soll: Gerade bei niedrigpreisigen Medikamenten würden die hohen zusätzlichen Kosten dazu führen, dass diese aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt genommen werden müssen. Angesichts der bereits jetzt angespannten Versorgungslage ist die neue Regelung unverantwortlich. „Hier weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Auf der einen Seite kommen ständig gut klingende Ankündigungen, den Pharmastandort Europa und die Versorgung zu stärken. Gleichzeitig schafft man eine Regelung, die das genaue Gegenteil bewirkt“, äußert Culik sein Unverständnis. Die EU-Mitgliedstaaten sind daher gut beraten, sich für eine rasche Revision der Richtlinie einzusetzen, um die dramatischen Folgen rechtzeitig zu verhindern.
Über den FCIO:
Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) ist die gesetzliche Interessenvertretung der chemischen Industrie in Österreich. Die etwa 240 Mitgliedsunternehmen produzieren in unterschiedlichen Sektoren z.B. Pharmazeutika, Kunststoffe und Kunststoffwaren, Fasern, Lacke, Düngemittel oder auch organische und anorganische Chemikalien. Die knapp 50.000 Beschäftigten der Branche stellten 2023 Waren im Wert von über 18,5 Milliarden Euro her. Der FCIO setzt sich für einen ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen und attraktiven Chemiestandort Österreich mit einem forschungs- und technologiefreundlichen Umfeld ein, in dem die chemische Industrie mit ihrer Innovationskraft Lösungen für die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen entwickeln und liefern kann. www.fcio.at
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