„Die ersten 1.000 Tage im Leben eines Menschen sind auch die kritischste Zeit in seinem Leben, denn mit dem Start der Schwangerschaft, mit dem Geburtsverlauf und den Kindesentwicklungen in den ersten beiden Lebensjahren wird der Grundstein für das ganze Leben gesetzt. Das betrifft auch die Risiken für spätere Krankheiten. Genau deshalb setzen wir uns in der Neonatologie dafür ein, dass Frühgeborene bestmöglich betreut und versorgt werden, um diesen Menschen zu einem langfristigen und möglichst gesunden Leben zu verhelfen“, erklärt Prof. Dr. Sven Matthias Wellmann, Chefarzt und Klinikleiter der Abteilung Neonatologie der Barmherzigen Brüder KUNO Klinik St. Hedwig in Regensburg und Council-Mitglied der European Society for Paediatric Research (ESPR).
Jedes zehnte Kind ein Frühchen
Weltweit kommt laut WHO jedes zehnte Kind zu früh auf die Welt. Haben Frühchen in Entwicklungsländern aufgrund der Versorgungsmöglichkeiten nach wie vor kaum Überlebenschancen, ist es in hoch entwickelten Ländern schon möglich, Babys, die an der Grenze der Lebensfähigkeit geboren werden, Perspektiven anbieten zu können. „Die Grenze der Lebensfähigkeit ist der Zeitpunkt, an der ein Neugeborenes eine reale Chance auf ein Überleben außerhalb des mütterlichen Körpers hat. Bei uns liegen die Überlebenschancen ab 22 Schwangerschaftswochen (SSW 22+0 bis 22+6) bei 50 %, ab 23 Schwangerschaftswochen schon bei 70-80 % und ab 28 Schwangerschaftswochen sogar bei über 90 %. Frühgeburt ist daher nicht gleich Frühgeburt, da mit zunehmender Schwangerschaftswoche auch die Reife des Neugeborenen und damit auch seine Überlebenschancen steigen“, betont Wellmann.
Kortison, Atemhilfe und Surfactant - die Dreifaltigkeit der Frühchenmedizin
Droht eine Frühgeburt vor 34 Schwangerschaftswochen, ist die erste standardisierte Maßnahme, der Schwangeren die Lungenreifespritzen zu verabreichen, die idealerweise zwei Tage vor der Geburt beginnen. „Diese Lungenreifespritzen enthalten den Wirkstoff Kortison und geben dem ungeborenen Kind ein wichtiges Signal, jetzt schon den Stoff Surfactant zu bilden, der die Entfaltung der Lungenbläschen regelt und dafür sorgt, dass das Kind nach der Geburt besser atmen kann. Nach der Geburt unterstützen wir diese Frühgeborenen vorsorglich mit einer Atemmaske“, erklärt Wellmann. Damit wird versucht, ein mögliches Zusammenfallen der Lunge und drohende Komplikationen wie das Atemnotsyndrom oder Hirnblutungen zu verhindern. Drittes wichtiges Standbein in der Behandlung ist häufig nach der Geburt auch die frühzeitige Gabe eines künstlich hergestellten Surfactant. „Diese drei Maßnahmen machen es Frühgeburten ab der 22./23. Schwangerschaftswoche überhaupt möglich zu überleben, sie helfen, Komplikationen zu vermeiden und erhöhen die Chancen wesentlich, nachher ein ganz normales Leben führen zu können“, so der Neonatologe.
Multidisziplinäre Betreuung für gesunde Lebensperspektive
„Zusätzlich zur Erhöhung der generellen Überlebenschance ist unser Ziel, die Frühchen so gut zu betreuen, dass mögliche Komplikationen und damit schwere gesundheitliche Folgen der extremen Frühgeburt verhindert werden können“, betont Wellmann. Von extremer Frühgeburt spricht man, wenn die Geburt mit weniger als 28 Schwangerschaftswochen erfolgt. Zu den häufigsten Komplikationen bei extremer Frühgeburt zählen Hirnblutungen, Lungenblutungen, Darmkomplikationen und schwere Infektionen. Diese schwersten Komplikationen treten bei ca. 20-30 % der extremen Frühchen auf. „Um den Frühchen eine bestmögliche Versorgung zu bieten, bedarf es einem multiprofessionalen Team an Ärzten, Pflegepersonal und Eltern, denn nur als Team können wir Positives für die Kinder erreichen“, erklärt Wellmann.
Eltern - wesentliche Schlüsselrolle zum Erfolg
Das bedingt auch einen wichtigen Paradigmenwechsel in der Rolle der Eltern. Wurden sie vor rund 20 Jahren in der Intensivstation noch als Besucher ihrer Kinder gesehen, gilt es jetzt, Eltern als Teil des frühgeborenen Kindes zu begreifen. „Eltern und Kind gehören psychologisch zusammen. So hat der Haut-zu-Haut-Kontakt, wie er beim „Känguruhen“ entsteht, eine wesentliche neuroprotektive Wirkung. Eltern und Neugeborene beruhigen sich und das Stresserlebnis wird vermindert. Das fördert die generelle Entwicklung des Babys und ist ganz besonders für die Reifung des Gehirns wichtig“, so Wellmann. Beim „Känguruhen“, einer in den 80er-Jahren in Österreich entwickelten Methode, liegt das Baby nur mit einer Windel bekleidet, über mehrere Wochen hinweg mehrere Stunden täglich am nackten Oberkörper der Mutter oder des Vaters.
Hospital at Home-Konzepte - Empowerment für Eltern
Bei Frühgeborenen und vor allem auch bei chronisch kranken Kindern ist ein familienzentrierter Ansatz bei der Pflege und Versorgung wichtig. „Wir entwickeln daher klare Konzepte und Strukturen, wie wir Eltern einbeziehen und schulen können. Das beginnt bei Frühgeborenen mit dem Känguruhen, geht über Unterstützung beim Stillen bis hin zu psychologischer und physiotherapeutischer Unterstützung, die auch nach der Entlassung aus dem Spital eine bestmögliche Fortsetzung der Therapie zu Hause ermöglicht“, betont Wellmann. So können Eltern nach erfolgter Einschulung mit gewissen Folgen von Komplikationen - wie leichte Atemstörungen, Anfälligkeiten für Infektionen und neurologischen Problemen - zu Hause gut zurechtkommen. Leichte neurologische Probleme können durch entsprechende Frühförderung der Kinder durch die Eltern und in den Bildungseinrichtungen bereits so gut ausgeglichen werden, dass die Kinder langfristig die gleichen Chancen haben, wie andere Kinder.
Über die IAKW-AG und den EAPS-Kongress
Die IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft) ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 21 Sälen, 134 Meetingräumen sowie rund 26.000 m² Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen. Der 10. Kongress der European Academy of Paediatric Societies (EAPS) wird von den beiden europäischen Gesellschaften European Academy of Paediatrics (EAP) und European Society for Paediatric Research (ESPR) durchgeführt. Er beschäftigt sich mit neuesten pädiatrischen Fortschritten, beispielsweise in der Neonatologie, sowie in den Bereichen der Genanalyse (Genomik), Stoffwechseldiagnostik und Proteinforschung (Multiomik) sowie neue Therapieformen.
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