Chlamydien sind wahre Weltenbummlerinnen. Egal ob in der Antarktis, in Bergseen oder auf Ackerböden – überall sind diese Bakterien zuhause. Sie sind eigentlich als bakterielle Krankheitserreger des Menschen bekannt. In den letzten Jahren haben Forscher*innen jedoch immer mehr nahe Verwandte dieser humanpathogenen Chlamydien entdeckt. Sie sind in der Umwelt weit verbreitet und kommen dort als Symbionten in Einzellern und anderen Tieren vor. Bedingt durch diesen Lebensstil ist es bisher nur für wenige Umweltchlamydien gelungen, diese im Labor zu kultivieren und sie näher zu charakterisieren. Wie der Großteil der Umweltchlamydien lebt, ist also kaum bekannt. Doch neue Studienergebnisse geben Aufschluss über ihre Lebensumstände.
Metagenomik als Hilfsmittel
Ein Team um Matthias Horn und den Erstautor der Studie, Stephan Köstlbacher, hat zur Erforschung dieser Bakterien einen kultivierungsunabhängigen Ansatz gewählt, der als Metagenomik bekannt ist. Gemeinsam mit Kollegen des Joint Genome Institutes (Kalifornien, USA) haben sie auf einen großen Datensatz bestehender Genomdaten zurückgegriffen. Darin haben sie rekonstruierte Genome von Chlamydien aus unterschiedlichsten Lebensräumen analysiert. Neben bereits bekannten Arten konnten sie dadurch annähernd doppelt so viele weitere, teils komplett neuartige, Chlamydien untersuchen. Die Ergebnisse sind erstaunlich.
Chlamydien sind anpassungsfähig und überall in der Umwelt zu finden
Der Datensatz zeigt, dass sich grundlegende Eigenschaften schon vor Urzeiten in den Vorfahren der Chlamydien entwickelt haben – so auch die Fähigkeit, tierische Zellen zu infizieren. Bis vor Kurzem war klar: Chlamydien sind grundsätzlich aerob, benötigen also Sauerstoff zum Überleben. Das hat sich nun jedoch geändert.
"Wir können nun zeigen, dass Chlamydien verschiedene Stoffwechselwege zur Energiegewinnung auch in Abwesenheit von Sauerstoff besitzen", erklärt Matthias Horn. Die Forscher*innen liefern damit Hinweise darauf, dass Chlamydien in deren Entwicklungsgeschichte mehrmals anoxische Lebensräume erobert haben. Einige Chlamydien scheinen ausschließlich bestimmte Lebensräume wie etwa anoxische Gewässer und Sedimente zu bevorzugen, andere fühlen sich in nahezu allen untersuchten Lebensräumen wohl.
Noch etwas Sonne tanken...
"Noch spannender war für uns jedoch die erstmalige Entdeckung von Chlamydien, die Sonnenlicht als Energiequelle nutzen können", meint Stephan Köstlbacher. Damit könnten Chlamydien sogar in Lebensräumen mit knappen Nährstoffressourcen überdauern. Die nötigen Gene hierfür scheinen diese Chlamydien von anderen Bakterien, mit denen sie gemeinsam in antarktischen Seen vorkommen, erworben zu haben. Chlamydien sind also extrem anpassungsfähig an neue Lebensräume und mehr als "nur" menschliche Krankheitserreger.
Die Erkenntnisse dieser Studie werfen ein völlig neues Bild auf eine bakterielle Gruppe, die in der Umwelt bisher wenig Beachtung fand. Wie genau Chlamydien ihre unerwartete Anpassungsfähigkeit an diverse Lebensräume in der Natur ausschöpfen, welche Auswirkungen das auf ihre jeweiligen Wirte hat, und welche Funktionen Chlamydien dort erfüllen, bleiben interessante Fragen.
Die Studie wurde finanziert aus Mitteln des European Research Council (ERC) und des Wissenschaftsfonds (FWF).
Publikation in "Nature Communications":
Köstlbacher Stephan, Collingro Astrid, Halter Tamara, Schulz Frederik, Jungbluth Jean P, and Horn Matthias. Pangenomics reveals alternative environmental lifestyles among chlamydiae.
https://www.nature.com/articles/s41467-021-24294-3; DOI: 10.1038/s41467-021-24294-3
"Behind the paper"-Blogbeitrag in "Nature Microbiology":
Köstlbacher, Stephan. Environmental chlamydiae, the hot topic at an imaginary party. https://naturemicrobiologycommunity.nature.com/posts/environmental-chlamydiae-the-hot-topic-at-an-imaginary-party
Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Matthias Horn
Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft
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