TU Wien: Simulationsforschung: Wichtige Werkzeuge für die Politik

Kein Modell ist perfekt, aber gute Modelle sind nützlich. Die COVID-Pandemie brachte wichtige neue Erkenntnisse – für die Simulationsforschung wie auch für die Politik.

Seit über zwei Jahren forscht Niki Popper an Simulationsmodellen rund um die COVID-Pandemie, auf Basis virtueller Bevölkerungsmodelle, die in den letzten zehn Jahren an der TU Wien entwickelt wurden. Daraus zieht er heute wichtige Lehren: Es ist nötig, verschiedene Modelle auf intelligente Weise miteinander zu kombinieren. Und man muss sich auf variable Rahmenbedingungen einstellen: Alles verändert sich: Die Pandemie, die Modellparameter, die Politik, und auch die Fragen, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Zu Beginn waren kurzfristige Abschätzungen der Pandemie-Ausbreitung gefragt, heute geht es um die Frage nach der langfristigen Stabilität des Gesundheitssystems.

Über den Zusammenhang von Simulationsforschung und politischen Entscheidungen publizierte Popper nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Medizinischen Universität Wien, des Complexity Science Hub und des Gesundheitsministeriums im Fachjournal „Nature Communications Medicine“.

Ein Modell im Wandel

„Wir haben im Jänner 2020 begonnen, eine damals noch recht diffuse Infektionskrankheit abzubilden“, sagt Niki Popper. Damals wusste man noch recht wenig über COVID-19. Es gab drastisch divergierende Einschätzungen dazu – von „harmloser als eine Grippe“ bis hin zu beinahe apokalyptischen Durchseuchungs-Prognosen. Die Simulationsergebnisse von Poppers Team ermöglichten sehr rasch eine größenordnungsmäßige Einschätzung der Situation und der Auswirkung von Änderungen. Schon die ersten Prognosen, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster aus dem Frühling 2020 erwiesen sich als hilfreich, weil sie unter anderem auch die raschen Auswirkungen der erste Corona-Maßnahmen gut abbilden konnten.

Im Lauf der Zeit wurden die Modelle verbessert: „Bald kamen recht klare Daten zu Infektiosität und anderen Aspekten dazu. Ab Herbst 2020 konnten wir dann sehr gut Effekte der Impfung, der Immunisierung durch Krankheit und ab Frühling 2021 die Ausbreitung von Varianten in der agentenbasierten Mikrosimulation abbilden“, sagt Niki Popper.

Seit Sommer 2022 hat sich der Fokus allerdings verschoben: Mittlerweile ist der Immunitätsstatus der Bevölkerung datenbasiert nicht mehr einschätzbar. Viele Menschen haben mehrere Infektionen mit unterschiedlichen Virus-Stämmen hinter sich, viele sind geimpft, oft mit unterschiedlichen Impfstoffen.

„Man muss akzeptieren, wenn irgendwann ein zuvor sehr hilfreiches und gutes Modell an seine Grenzen stößt“, sagt Popper. „Das ist hier geschehen. Deshalb haben wir im August 2022 im Prognosekonsortium die Berechnung der Ausbreitung beendet. Die Daten sind zu diffus, dafür sind andere Fragestellungen viel wichtiger geworden.“

Welche politischen Konsequenzen werden gezogen?

Ein Simulationsmodell sollte kein Selbstzweck sein. „Zunächst muss die Frage geklärt sein: Wofür modelliere ich überhaupt?“ sagt Niki Popper. „Wenn es darum geht, wie Simulationsforschung politische Entscheidungen unterstützen kann, muss diese Frage aber die Politik beantworten, nicht die Wissenschaft.“ Wenn flächendeckend getestet wird, bekommt man wertvolle Daten für Simulationsrechnungen. Wenn die Politik entscheidet, auch bei hohen Infektionszahlen keine Maßnahmen mehr zu ergreifen, ist eine Prognose der Infektionszahlen zweitrangig.

Der Fokus hat sich im Lauf der Zeit verschoben: „Wir versuchen zu vermitteln, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Modellierung des Gesundheitssystems selbst in den Fokus rücken muss“, sagt Popper. „Entscheidend ist: Wie sieht es in den Spitälern insgesamt aus? Wie breiten sich unterschiedliche Erkrankungen wie COVID-19, Influenza und RSV aus, wenn sie gleichzeitig auftreten? Welche anderen Aspekte wie Long Covid oder langfristige Folgen der Maßnahmen müssen wir in Zukunft betrachten?“

Man ändert die Fragestellung nicht, weil man an der ursprünglichen Fragestellung gescheitert wäre, sondern weil verschiedene Rahmenbedingungen eben verschiedene Fragestellungen mit sich bringen – das ist ein wichtiger Bestandteil der Simulationsforschung. „Dass sich die Lage ständig ändert, ist den Entscheidungsträgern oft nur schwer zu vermitteln“, sagt Popper. „Ich verstehe das auch. Viele Leute glauben etwa: Eine Dynamik, die letztes Jahr aufgetreten ist, muss sich auch dieses Jahr wiederholen. Dabei hat sich aber die Systemdynamik völlig verändert. Die Herausforderung ist dann, mit unseren Modellen zu erklären, warum das so ist und wo die heiklen Punkte jetzt liegen. Bleibt man bei den alten Themen, droht man die Zukunft zu verschlafen. Auch darauf muss man auf Basis der Modelle, etwa in der GECKO Kommission, hinweisen. Das ist ein Teil von unserem Job.“

Mehrere Modelle gleichzeitig

Im aktuellen Paper in „Nature Communications Medicine“ geht es auch darum, dass in solchen Situationen verschiedene Modelle kombiniert werden sollen. „Unterschiedliche Modelle verwenden unterschiedliche Methoden und beantworten oft auch unterschiedliche Fragen“, sagt Niki Popper. „In Österreich sind wir den Weg gegangen, drei Modelle miteinander zu kombinieren.“ Das basiert auch auf der Idee des sogenannten „Comparative Modelling“, das an der TU Wien seit vielen Jahren erforscht wird. „Jedes Modell ist falsch – oder zumindest nicht perfekt richtig“, sagt Niki Popper. „Entscheidend ist der Validierungsprozess: Man muss feststellen, wo die verschiedenen Modelle falsch liegen, und wie weit sie neben der Wahrheit liegen. Man muss die Gründe verstehen, warum einzelne Modelle an einem ganz bestimmten Punkt falsch sind, an einem anderen aber stimmen. Durch diese Vergleiche können wir die Modelle verbessern und viel effektiver einschätzen, wie gut die Modelle bei den Entscheidungen unterstützen können.“

Originalpublikation

M. Bichler et al., Supporting COVID-19 policy-making with a predictive epidemiological multi-model warning system, Communications Medicine 2, 157 (2022).  , öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Rückfragehinweis

Dr. Niki Popper
Institut für Information Systems Enngineering
Technische Universität Wien

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