Die AIT Expertinnen Angela Sessitsch und Tanja Kostic (Center for Health & Bioresources) veröffentlichen gemeinsam mit acht internationalen Partner*innen eine Empfehlung, wie das Potenzial von Mikrobiomen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft genutzt werden kann. Diese zeigt auf, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit, der Wissensaustausch und die richtigen Rahmenbedingungen sind.
Um uns herum leben Milliarden von Mikroorganismen, die unser Leben jeden Tag maßgeblich beeinflussen. Meistens bemerken wir es nicht, dennoch sind sie von großer Bedeutung für unsere Gesundheit und spielen in der Umwelt und Lebensmittelerzeugung eine wesentliche Rolle. Die Gemeinschaft aller Mikroorganismen (Viren, Bakterien, Archaeen, einzelligen Eukaryoten, Pilze) in einem bestimmten Lebensraum nennt man „Mikrobiom“. Diese spielen eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung des Lebens auf der Erde. Zum Beispiel produzieren marine Mikrobiome einen Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen, und spielen eine unverzichtbare Rolle bei der Kohlenstoffspeicherung und im Nährstoffkreislauf. Bodenmikrobiome fixieren Stickstoff und Methan und ermöglichen so Düngung und vermeiden die Emission von Treibhausgasen. Das menschliche Darmmikrobiom hat klare Verbindungen zur menschlichen Gesundheit, und auch das Mikrobiom von Pflanzen und Tieren spielt eine wichtige Rolle für deren Gesundheit.
„Unser wachsendes Verständnis der Verflechtung von Mikrobiomen in Umwelt- und Lebensmittelsystemen legt nahe, dass Mikrobiom-Innovationen das Potenzial haben, die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln, Futtermitteln und Biokraftstoffen zu verbessern und gleichzeitig die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft unterstützen“, erläutert Angela Sessitsch, Forscherin am Center for Health and Bioresources am AIT Austrian Institute of Technology. Sessitsch leitet die Competence Unit Bioresources des Centers for Health & Bioresources und ist eine der weltweit meistzitierten Forscherinnen in diesem Bereich.
Mikrobiome beeinflussen die Welt um uns maßgeblich
So können beispielsweise durch gezielte Veränderungen von Pflanzenmikrobiomen Ernteerträge gesteigert sowie die Salz- und Trockentoleranz von Nutzpflanzen verbessert werden. Bodenmikrobiome können als Biodünger und zur Reduzierung der Stickstoffauswaschung eingesetzt werden. Die Nutzung von Umweltmikrobiomen kann den Abbau von Schadstoffen beschleunigen. Weiters ist es möglich, mithilfe von Mikroorganismen organische Abfallstoffe aus der Lebensmittel- und Faserindustrie zu verwerten und dadurch fossile Brennstoffe zu ersetzen. Und auch bei der Herstellung und Konservierung von fermentierten Lebensmitteln, wie etwa Brot, Schokolade, Bier oder Joghurt, ist die Kenntnis von Lebensmittelmikrobiomen entscheidend. Mikrobiome spielen daher beim Aufbau einer nachhaltigen Bioökonomie, in der fossile Rohstoffe und Energieträger durch erneuerbare Ressourcen ersetzt werden, eine wichtige Rolle.
Um die Forschung und Innovation in diesem Bereich voranzutreiben, wurden in den vergangenen Jahren einige schlagkräftige internationale Konsortien gegründet, darunter das von Angela Sessitsch geleitete EU-Projekt „MicrobiomeSupport“ und das International Bioeconomy Forum (IBF), in dem unter anderem die EU, Kanada, die USA, Argentinien, Südafrika, Indien, Australien, Neu Seeland oder China vertreten sind. Zehn Expert*innen aus diesen Konsortien haben nun in einer gemeinsamen Empfehlung, die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Microbiology veröffentlicht wurde, gemeinsam mit der EU-Kommission die Potenziale von Mikrobiom-Innovationen und die Voraussetzungen für deren Umsetzung zusammengestellt.
„In unserer Rolle als internationales Konsortium aus Mikrobiom-Wissenschaftler*innen und politischen Entscheidungsträger*innen argumentieren wir, dass Mikrobiom-Anwendungen Lösungen zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie Lebensmittelsicherheit, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden, Abfallwirtschaft sowie Eindämmung des Klimawandels unterstützen könnten“, so Sessitsch. Damit können Mikrobiom-Innovationen einen direkten Beitrag zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO und des Green Deals der EU leisten.
Das ungenutzte Potential der Mikroorganismen
Um diese Potenziale zu verwirklichen, müssen allerdings noch einige Vorarbeiten geleistet werden. Denn wie die AIT-Forscherin Tanja Kostic, eine der beiden Hauptautorinnen der Studie, erläutert, steckt die Forschung in manchen Bereichen noch in einem frühen Stadium. Die wichtigsten Erfordernisse, um Mikrobiom-Innovationen zu ermöglichen, sind in den Augen der Studienautor*innen:
- mehr Forschung, um die Funktion der Mikrobiome sowie die biochemischen Prozesse völlig zu verstehen.
- interdisziplinäre Forschung: bessere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen, die Verstärkung der Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie sowie ein intensiver Datenaustausch
- stärkere internationale Zusammenarbeit und Angleichung der globalen Forschungsagenden und der Finanzierung, um faire und gleichberechtigte globale Partnerschaften und Wissensaustausch zu ermöglichen
- neue Infrastrukturen („Microbiome Centers“), vor allem für die Konservierung von Mikrobiomen und für die Speicherung und den Austausch von Daten
- langfristige Investitionen, um sicherzustellen, dass die Innovationen auch in der Praxis umgesetzt werden
- öffentliches Vertrauen und Akzeptanz in die neuen Technologien: Als nötig erachtet wird eine intensive Kommunikation zwischen Forschung, Politik, Behörden, Industrie, Nutzern (z. B. Landwirte) und der breiten Öffentlichkeit.
- klare gesetzliche Regelungen sowohl auf nationaler und internationaler Ebene. Das umfasst auch ethische Richtlinien, um die Innovationen verantwortungsvoll in Produktionssysteme einzuführen.
In einigen dieser Bereiche macht man bereits Fortschritte: So wird derzeit im Rahmen des „MicrobiomeSupport“-Projekts in Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von globalen Stakeholdern eine gemeinsame strategische Forschungs- und Innovationsagenda für Mikrobiome in Lebensmittelsystemen erarbeitet.
„Mikrobiome können eine Fülle von bioaktiven Verbindungen liefern und Aktivitäten ermöglichen, die der Landwirtschaft, der Umwelt und der Gesundheit von Tieren und des Menschen dienen. Die Nutzung der Möglichkeiten von Mikrobiom-Innovationen durch Investitionen, Zusammenarbeit, regulatorische Änderungen und Öffentlichkeitsarbeit wird die Wahrscheinlichkeit, die Nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen, erheblich erhöhen“, fassen die Studienautor*innen zusammen.
Studie: Kathleen D'Hondt, Tanja Kostic et al: Microbiome innovations for a sustainable future. Nature Microbiology
Links: www.microbiomesupport.eu / www.bioeconomy-forum.org / https://www.nature.com/articles/s41564-020-00857-w
Weitere Informationen über das Center: https://www.ots.at/redirect/ait52