TU Wien: Wärmeres Klima – mehr Bakterien: Vibrio cholerae im Neusiedler See

Genetische Tests zeigen: Der Neusiedler See beherbergt eine erstaunliche Vielfalt des Bakteriums Vibrio cholerae. Das ist kein Grund zur Sorge, aber eine Chance für die Wissenschaft.

Der Neusiedler See hat einiges zu bieten – für Menschen, für Vögel, aber auch für Vibrio cholerae-Bakterien. Das basische, leicht salzige, nährstoffreiche Wasser des Sees sowie die hohen Sommertemperaturen sind für sie die optimalen Bedingungen. Allerdings finden sich im Neusiedler See nicht diejenigen Vibrio cholerae-Stämme, die anderswo die gefährliche Cholera auslösen können, die Burgenländischen Varianten sind zum Glück deutlich harmloser.. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist es trotzdem wichtig, solche Bakterien zu untersuchen: Höhere Gewässertemperaturen führen oft auch zu einer steigenden Zahl von Erkrankungsfällen.

Die TU Wien, die Medizinische Universität Wien und das interuniversitäre Kooperationszentrum „Wasser und Gesundheit“ (ICC Water &Health) führten genetische Untersuchungen an diesen Bakterienstämmen durch. Dabei stellte man fest, dass speziell in den schilfbewachsenen Ufergebieten ihre genetische Vielfalt äußerst hoch ist. Der Neusiedler See ist ein optimaler „Bioreaktor“, in dem sich neue Bakterienstämme entwickeln – und so ist er auch ein optimales Forschungsobjekt, um mehr darüber zu lernen, wie sich Bakterienstämme wandeln und rekombinieren.

Das Baden in den Zeiten des Klimawandels
Im Sommer lassen sich in Wasserproben aus dem Neusiedler See bis zu hunderttausend lebende Vibrio cholerae-Bakterien pro Liter finden. Grund zur Sorge ist das für den gesunden Badegast nicht: „Nur zwei bestimmte Typen dieser Bakterien-Spezies können Cholera auslösen – die im Neusiedler See gefundenen Typen gehören nicht dazu“, erklärt Irina Druzhinina, Leiterin der Forschungsgruppe für Mikrobiologie an der TU Wien. Zwar können auch die Vibrio cholerae-Typen des Neusiedler Sees für Durchfallerkrankungen verantwortlich sein, dafür müsste man allerdings mehrere Liter Seewasser trinken – beim bloßen Baden besteht kaum eine Gefahr. Es kann allerdings vorkommen, dass die Vibrio cholerae-Bakterien eine Ohrenentzündung auslösen. Auch das Baden mit offenen Wunden kann problematisch sein, wenn sich im Wasser Vibrio cholerae-Bakterien tummeln.

„Besondere Relevanz haben all diese Fälle durch den Bezug zur Klimaerwärmung“, erklärt Alexander Kirschner, Leiter der Studie vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien. „In den letzten Jahren ist es in vielen Teilen Europas aufgrund höherer Gewässertemperaturen zu zunehmenden Erkrankungsfällen durch Infektionen mit Vibrio cholerae Bakterien gekommen. Auch die durchschnittliche Temperatur des Neusiedler Sees hat sich in den letzten 30 Jahren um etwa 1.5°C erhöht.“

Um zu verstehen, wie sich die Bakterien verändern und verbreiten wurden die im Neusiedler See gefundenen Bakterienstämme genetisch untersucht. Mit Hilfe von Rechenmodellen konnte dann der phylogenetische Stammbaum der Bakterien ermittelt werden. „Es gibt zwei Gründe für die außergewöhnliche Bakterienvielfalt im Neusiedler See“, sagt Carina Pretzer, die Erstautorin der Studie. „Zum einen werden zahlreiche Bakterien wahrscheinlich von Vögeln oder auch von Menschen über große Distanzen in den See getragen. Zum anderen konnten wir zeigen, dass es im See auch häufig zu Rekombination und der Entstehung ganz neuer Bakterien-Stämme kommt.“

Besonders im Schilfbereich war die Diversität unter den Vibrio cholerae-Bakterien besonders groß. Der Grund dafür ist noch nicht ganz klar. „Möglicherweise ist das Schilf selbst dafür verantwortlich, es könnte aber auch mit der größeren Diversität von Plankton oder Tieren im Uferbereich liegen“, meint Irina Druzhinina. Die Studie deckt erstmals die wesentlichsten Mechanismen für die Verbreitung und Evolution dieser immer häufiger auftretenden Krankheitserreger im europäischen Kontext vor dem Hintergrund des Klimawandels auf.

Jedenfalls will man den Neusiedler See und seine Vibrio cholerae -Bakterien in Zukunft im Auge behalten: Er eignet sich bestens dafür, genau zu studieren, wie sich Bakterien verändern und neue Stämme hervorbringen. „Wenn wir diese Vorgänge besser verstehen, können wir auch prognostizieren, wo möglicherweise Gefahr drohen könnte, und was man dagegen tun muss“, hofft Alexander Kirschner.

Hygiene-Preis
Für diese Forschungsarbeit, die im Fachjournal „Environmental Microbiology“ veröffentlicht wurde, erhält Carina Pretzer nun den Österreichischen Hygienepreis der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP). Übergeben wird der Preis bei der Jahresversammlung der ÖGHMP am 15.05.2017.

Originalpublikation: Pretzer C, Druzhinina IS, Amaro C, Benediktsdóttir E, Hedenström I, Hervio-Heath D, Huhulescu S, Schets FM, Farnleitner AH, Kirschner AKT (2017): High genetic diversity of Vibrio cholerae in the European lake Neusiedler See is associated with intensive recombination in the reed habitat and the long-distance transfer of strains. Environmental Microbiology 19(1): 328-344

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