GMI: Samenkeimung: Die Doppelrolle der Lichtrezeptoren

Bei vielen Pflanzen hängt die Samenkeimung von Licht ab. Aber nicht immer: Aethionema arabicum, eine an schwierige Umweltbedingungen angepasste Pflanze, macht es auf ihre eigene Weise. Hier spielen die Phytochrome, die Rezeptoren für rotes und dunkelrotes Licht, eine unerwartete Rolle bei der Samenkeimung und stimmen diesen Prozess auf die optimale Jahreszeit ab. Diese Erkenntnisse, die jetzt in der Zeitschrift Plant Physiology veröffentlicht wurden, sind ein überzeugendes Beispiel für die evolutionäre Neuverknüpfung von Signalmodulen, die Pflanzen bei der Anpassung an ihre Lebensräume helfen. Die Studie wurde von ForscherInnen des Gregor Mendel Instituts für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geleitet.

Während einige Pflanzensamen Licht benötigen, um zu keimen, sind andere Samen lichtunempfindlich oder werden sogar durch Licht gehemmt. Die meisten Erkenntnisse über die Rolle des Lichts bei der Samenkeimung stammen aus Studien mit der Ackerschmalwand, einem Modellorganismus namens Arabidopsis thaliana, deren Samen Licht für die Keimung benötigen. In anderen Pflanzen jedoch kann Licht die Keimung stark hemmen. Die molekulare Grundlage dieses Effekts war bisher weitgehend unbekannt. Ein Forscherteam unter der Leitung von Dr. Zsuzsanna Mérai am Gregor Mendel Institut (GMI) nutzte Aethionema arabicum (Brassicaceae), eine mit der Ackerschmalwand nahe verwandten Pflanze, um den molekularen Mechanismus der durch Licht gehemmten Samenkeimung zu untersuchen.

Aethionema arabicum stammt aus offenen und trockenen Lebensräumen, in denen die Keimung von Samen bei hellen, langen und heißen Tagen an der Oberfläche die Überlebenschancen der Keimlinge reduzieren würde. Die lichtgehemmte Keimung wird als ein Merkmal interpretiert, das die Keimung auf kühlere Jahreszeiten oder auf unterirdisch gelegene Samen beschränkt.

In ihrer Studie konnten Mérai und ihre KollegInnen nachweisen, dass Phytochrome, die Lichtrezeptoren für rote und dunkelrote Wellenlängen, bei Aethionema eine doppelte Rolle bei der Reaktion auf Licht spielen: Sie können die Keimung sowohl anregen als auch hemmen. Durch die Messung der Lichtintensität und -dauer mit Hilfe der Phytochrome erhalten die Samen Informationen über die Tageslänge und damit über die Jahreszeit.

Eine zyprische Variante hilft dabei, die Lichthemmung besser zu verstehen

Mérai und ihre KollegInnen verwendeten Samen einer aus Zypern stammenden Aethionema-Variante (CYP), die nicht keimen, wenn sie weißem Licht ausgesetzt sind. In ihrem natürlichen Lebensraum keimt die CYP-Variante nur im zeitigen Frühjahr, wenn die Tage (relativ) kurz und die Temperaturen kühl sind. So kann die Pflanze ihren Lebenszyklus vor der trockenen Sommerzeit abschließen. Mérai versuchte, den Mechanismus der Lichthemmung bei Aethionema CYP zu untersuchen, indem sie eine Sammlung mutierter Samen anlegte und darin nach Mutanten suchte, die im Gegensatz zur Ausgangsform auch im weißen Licht keimen konnten.

Nun haben die ForscherInnen eine Mutante auf molekularer Ebene charakterisiert und sie ‚koy-1‘ genannt, nach Koyash, dem Sonnengott der türkischen Mythologie. Sie zeigten, dass die Mutation das Gen HEME OXYGENASE 1 beeinflusst, ein Schlüsselgen, das für die Produktion von Chromophoren, den lichtdetektierenden Molekülen der Phytochrome, erforderlich ist. Diese Mutation verringert die Menge des Chromophor-Proteins und ist für die veränderte Lichtempfindlichkeit von koy-1 verantwortlich.

Die Doppelrolle der Phytochrome fördert die Umweltanpassung

Die koy-1-Mutante ermöglichte es Mérai und ihren KollegInnen, weitere mechanistische Details aufzudecken. „Indem wir Lichtintensität, Wellenlänge und Dauer variierten, konnten wir komplexe Lichtreaktionsmuster aufschlüsseln, die mit Phytochromen in Aethionema verknüpft sind.“, sagt Mérai. „Die geringe Restmenge an funktionellen Phytochromen in koy-1 ermöglichte es uns, eine überraschende Doppelrolle der Lichtrezeptoren bei der Keimung von Aethionema-Samen aufzudecken“.

Ihre Experimente zeigten, dass hohe Lichtintensität und -dauer die Keimung stark hemmt, während eine kurze Belichtung die Keimung begünstigt. Diese beiden gegensätzlichen Reaktionen auf Licht sind auf unterschiedliche Verhältnisse zwischen zwei wichtigen Hormonen zurückzuführen: der keimungshemmenden Abscisinsäure (ABA) und der keimungsfördernden Gibberellinsäure (GA). „Wir wussten bereits, dass Licht in Arabidopsis zu hohen GA- und niedrigen ABA-Pegeln führt. Jetzt wissen wir auch, dass Aethionema CYP bei sehr begrenztem Licht ähnlich reagiert. Mit zunehmender Lichtintensität werden die Hormonpegel jedoch buchstäblich auf den Kopf gestellt, was zu einer Hemmung der Keimung führt“, sagt Mérai. „Die gegensätzlichen Reaktionen auf Lichtintensität und -dauer haben eine genetische Grundlage und sind eine Anpassung an die natürliche Umgebung der Pflanzen, die es Aethionema CYP ermöglicht, im zeitigen Frühjahr zu keimen, aber nicht später.“

Evolution arbeitet mit Neuverknüpfung von Modulen

Durch die Entdeckung, dass dieselben molekularen Akteure entgegengesetzte Effekte vermitteln können, haben die Forschenden gezeigt, wie die Evolution bestehende Module ‚neu verknüpft‘ haben könnte, um angemessen auf Umweltanforderungen zu reagieren. Mit solchen kombinatorischen Variationen, die in mehreren Organismen bekannt sind, kann die Evolution ‚schnelle‘ Veränderungen erreichen, ohne dass sich grundlegend neue Komponenten entwickeln müssen. „Unsere Ergebnisse aus der Untersuchung von Nicht-Modellorganismen und Nicht-Nutzpflanzen ebnen den Weg für ein besseres Verständnis der molekularen Prozesse in der Natur und der biologischen Vielfalt. Die an der Ackerschmalwand gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind zwar wichtig, aber nicht immer repräsentativ für alle Pflanzen. Hier zeigen wir, dass wir in der Natur sogar völlig entgegengesetzte molekulare Mechanismen entdecken können“, schließt Mérai, deren Arbeit Aethionema als neues Modell zur Untersuchung der Wirkung von Licht auf die Samenkeimung etabliert.

Originalveröffentlichung:

Mérai Z. et al. “Phytochromes mediate germination inhibition under red, far-red, and white light in Aethionema arabicum”. Plant Physiology, 2023. DOI: https://doi.org/10.1093/plphys/kiad138

Über das GMI:

Das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) betreibt Spitzenforschung in der molekularen Pflanzenbiologie. Das Institut ist im Besitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und wird von dieser finanziert. Die Forschungsthemen umfassen grundlegende Mechanismen der Epigenetik, Zellbiologie, Interaktionen zwischen Pflanzen und Krankheitserregern, Entwicklungsbiologie und Populationsgenetik. Das GMI befindet sich am Vienna BioCenter, einem der führenden Life-Science-Standorte in Europa. www.oeaw.ac.at/gmi

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