Die Symptome sind bekannt: Grippe-Epidemien verursachen Virusinfektionen der Atemwege, mit plötzlichem hohen Fieber, Husten, Kopf- und Halsschmerzen, rinnender Nase, Müdigkeit und allgemeinem Unwohlsein. Gruppen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko können dabei sehr ernsthafte, manchmal lebensbedrohliche Erkrankungen entwickeln. Studien haben gezeigt, dass schwere Krankheitsverläufe, wie zum Beispiel Lungenentzündungen, dabei sehr häufig nicht vom Virus selbst verursacht werden. Es ist vielmehr die durch das Virus hervorgerufene Immunantwort, die den Organismus anfällig für Bakterien macht. Der zugrunde liegende Mechanismus, der dazu führt, dass Viren die Abwehr von Bakterien unterdrücken, war bisher unbekannt.
Der Gruppe von Andreas Bergthaler am CeMM, zusammen mit einem interdisziplinären Forscherteam von der Medizinischen Universität Wien, sowie aus den USA und der Schweiz, ist es nun erstmals gelungen, ein fehlendes Bindeglied zu finden, das dieses Phänomen auf molekularer Ebene erklären kann. Studienleiter Andreas Bergthaler: „Wir haben einen molekularen Mechanismus im Abwehrsystem der Zellen entdeckt, der darauf abzielt, unnötige und überschießende Entzündungsreaktionen bei einer Virusinfektion zu verhindern, um den Organismus nicht zusätzlich zu schädigen. Gleichzeitig führt diese Regulation aber auch dazu, dass der Körper in diesem Zeitraum anfälliger für Bakterien ist.“
Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Molekül Interferon zu, das bei der Abwehr von Viren eine zentrale Rolle einnimmt. In der neuen Studie konnten die Wissenschaftler am CeMM erstmals zeigen, dass dieses Molekül die Bildung des Enzyms Setdb2 anregt, welches die Abwehrreaktion gegen Bakterien unterdrückt. Setdb2 verändert die Ablesbarkeit der Erbinformation (DNA) in der Zelle und bewirkt, dass weniger antibakterielle Abwehrstoffe gebildet werden können.
Dringen Bakterien in die Lunge ein, werden Botenstoffe, wie das in der Studie untersuchte Cxcl1 gebildet, die Immunzellen anlocken. Erstautor Christopher Schliehe: „Wir konnten zeigen, dass Virusinfektionen Setdb2 hochregulieren, und Setdb2 die Bildung des Botenstoffes Cxcl1 unterdrückt. Dadurch wandern weniger Immunzelle n ein, die Entstehung schwerer bakterieller Lungenentzündungen wird begünstigt.“ Laufende und zukünftige Forschungen zielen nun darauf ab, das komplexe Zusammenspiel zwischen Virus, Setdb2, Bakterium und Immunsystem weiter zu durchleuchten. Das könnte in fernerer Zukunft neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, um das Immunsystem von Grippe- Patienten und deren antibakterielle Widerstandskraft zu stärken.
Studie:
Setdb2 mediates virus-induced susceptibility to bacterial superinfection. Christopher Schliehe, Elizabeth K. Flynn, Bojan Vilagos, Udochuku Richson, Savitha Swaminanthan, Berislav Bosnjak, Lisa Bauer, Richard K. Kandasamy, Isabel M. Griesshammer, Lindsay Kosack, Frank Schmitz, Vladimir Litvak, James Sissons, Alexander Lercher, Anannya Bhattacharya, Kseniya Khamina, Anna L. Trivett, Lino Tessarollo, Ildiko Mesteri, Anastasiya Hladik, Doron Merkler, Stefan Kubicek, Sylvia Knapp, Michelle M. Epstein, David E. Symer, Alan Aderem and Andreas Bergthaler. Nature Immunology AOP, Doi:10.1038/ni.3046
Die Studie wurde finanziert durch Mittel des CeMM und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Schweizerische Stiftung für Medizinisch-Biologische Stipendien (SSMBS).
Über das CeMM
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin. „Aus der Klinik für die Klinik“ – orientiert sich das CeMM unter der Leitung des Wissenschaftlichen Direktors Giulio Superti-Furga an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung mit klinischer Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen und Immunstörungen. Infos: www.cemm.oeaw.ac.at.