Energie ist die Währung allen Lebens und ein zentrales Anliegen der wildökologischen Forschung ist es, zu verstehen, wie Tiere ihr Energiebudget angesichts begrenzter Verfügbarkeit von Nahrung regulieren. Chris Turbill und seine Kollegen untersuchten dazu die Frage, ob hoher Rang, also die soziale Dominanz, mit einer höheren Stoffwechselrate einhergeht. Sie ermittelten die Herzfrequenz und Körpertemperatur (beides Näherungsmaße für die Stoffwechselintensität) an einem Rudel weiblicher Rothirsche (Cervus elaphus) im Winter mit einer praktisch nicht-invasiven Technik, nämlich Miniatursendern, die in die Netzmägen dieser Wiederkäuer eingebracht wurden.
In Rothirschrudeln herrscht eine ausgeprägte Hierarchie. Vor Beginn des Experiments wurde daher über Verhaltensbeobachtungen der soziale Status jedes einzelnen Individuums im Rudel bestimmt. Die
Dominanz ist teuer
Rothirsche müssen in freier Wildbahn im Winter eine negative Energiebilanz überstehen. Trotzdem möglichst wenig an Körpermasse zu verlieren ist wichtig für das Überleben und die Fortpflanzung im nächsten Jahr. In der kritischen Winterzeit reduzieren Rothirsche daher, wie viele andere Huftiere nördlicher Breiten, ihren Energiebedarf drastisch, indem sie in kalten Winternächten ihre Stoffwechselrate verringern – Wissenschafter nennen diese Energiesparmaßnahme „Hypometabolismus“. Genau das gelingt aber ranghohen Hirschen weniger gut. Dominante Tiere haben im Winter höhere Herzfrequenzen und Körpertemperaturen als rangtiefere. Deshalb verloren dominante Individuen in den Perioden experimentell verringerter Nahrungsverfügbarkeit mehr an Gewicht als rangtiefere Tiere. Die sonst eher benachteiligten untergeordneten Individuen scheinen daher, aufgrund ihrer Fähigkeit den Energieverbrauch stärker reduzieren zu können, harte Überwinterungsbedingungen auch besser zu überstehen.
Durchschnittswerte erzählen nicht die ganze Geschichte
Ökophysiologen rätseln seit langem, warum oft große individuelle Unterschiede in physiologischen Parametern, wie etwa der Stoffwechselrate, bestehen, sogar unter sonst identischen Bedingungen. Woher stammen diese Unterschiede? Neuere Erkenntnisse zur Bedeutung der Persönlichkeit von Tieren bieten eine Erklärung: Individuen unterscheiden sich durch besondere Kombinationen von Verhaltens-, physiologischen und lebensgeschichtlichen Merkmalen, die ein individuelles „Lebenstempo“ repräsentieren. Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie, betont: „Bislang haben Physiologen sich meistens auf die Ermittlung von Durchschnittswerten von Merkmalen bei Wildtieren konzentriert. Unsere Ergebnisse verdeutlichen aber, dass es entscheidende individuelle Unterschiede in physiologischen Prozessen innerhalb einer Art geben kann, die man nicht außer Acht lassen darf. Evolutionäre Anpassung beruht schließlich auf natürlicher Selektion, die genau an diesen Abweichungen von der Norm angreift.“
Die Arbeit „Social Dominance is associated with individual differences in heart rate and energetic response to food restriction in female red deer“ von Christopher Turbill, Thomas Ruf, Angela Rothmann und Walter Arnold ist in der Zeitschrift Physiological and Biochemical Zoology erschienen.
Der Erstautor, Christopher Turbill, ist mittlerweile am Hawkesbury Institute for the Environment an der Universität von Western Sydney tätig.