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Uni Wien: Die außergewöhnliche Entwicklung von Schnabeltier, Emu und Ente

Neue Publikationen enthüllen die Vielfalt von tierischen Geschlechtschromosomen

Drei Studien zeigen die einzigartigen Geschlechtschromosomen von Schnabeltier, Emu und Pekingente. Schnabeltiere haben fünf Geschlechtschromosomenpaare, die eine ungewöhnliche Kettenform einnehmen. Die Chromosomen des Emus und der Ente unterscheiden sich im Vergleich zum Menschen weniger stark zwischen den Geschlechtern. Die Studien sind das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit zwischen Wissenschafter*innen aus Österreich, Australien, China und Dänemark. Sie sind unter der Leitung des Teams von Qi Zhou an der Universität Wien und der Zhejiang University of China entstanden und erscheinen jetzt in den Fachzeitschriften Nature, Genome Research und GigaScience.

Die Geschlechtschromosomen bestimmen, ob sich ein Embryo zu einem männlichen oder weiblichen Individuum entwickelt. Normalerweise kommen sie als ein morphologisch unterschiedliches Chromosomenpaar vor. So haben Männer beispielsweise ein Paar XY-Chromosomen, während Frauen über ein Paar XX-Chromosomen verfügen.

Geschlechtschromosomen stammen – so wird angenommen – von einem Paar identischer Chromosomen ab. Diese tragen ein geschlechtsbestimmendes (männlich oder weiblich) Gen auf einem Chromosom. Um zu verhindern, dass ein geschlechtsbestimmendes Gen im anderen Geschlecht zur Ausprägung kommt, wird die Rekombination von Geschlechtschromosomen normalerweise unterdrückt. Das führt zur Degeneration des Y-Chromosoms (bzw. des W-Chromosoms bei Vögeln) und zum morphologischen Unterschied der Geschlechtschromosomen zwischen den Geschlechtern. So trägt beispielsweise das Y-Chromosom des Menschen nicht einmal 50 Gene, während das X-Chromosom noch immer mehr als 1500 Gene des ursprünglichen Autosoms tragen. Dieser Vorgang vollzog sich unabhängig bei Vögeln, Kloakentieren (dem australischen Schnabeltier und Ameisenigel), sowie bei anderen Säugetieren (Theria, z.B. Känguru, Maus und Mensch).

Das Schnabeltier hat zehn Geschlechtschromosomen

Durch sein Gift, den Entenschnabel, seine Eier und die Milch wirkt das Schnabeltier wie eine außergewöhnliche Kombination aus Reptil, Vogel und Säugetier. Frühere Studien zeigen, dass das Schnabeltier – obwohl es zweifellos ein Säugetier ist – Geschlechtschromosomen hat, die nicht denselben Ursprung wie jene des Menschen haben. Es stellte sich heraus, dass das männliche Schnabeltier fünf Paare XY-Chromosomen (die als X1Y1, X2Y2 usw. benannt sind) hat und keines davon zum XY von Menschen oder Mäusen homolog ist.

Diese zehn Geschlechtschromosomen ordnen sich paarweise in einer Kopf-Schwanz-Stellung an und bilden während der Meiose eine Kette. Die genetische Veranlagung und die Evolution dieses einzigartigen Systems von Geschlechtschromosomen waren bislang nicht geklärt, denn das bis dato veröffentlichte Schnabeltier-Genom stammt von einem Weibchen. Außerdem ist nur ein Viertel der Sequenzen auf Chromosomen abgebildet.

Neue Sequenzierungsmethode

Durch die Zusammenarbeit zwischen den Forschungsgruppen von Zhou, Grützner und Zhang konnten die Forscher*innen eine neue Sequenzierungsmethode (namens PacBio oder Sequenzierung der dritten Generation) anwenden. Im Vergleich zur Vorgängermethode kann mit dieser das Genom mit Sequenzen "gelesen" werden, die mehr als 300-fach länger sind. Die ebenfalls neu angewandte Konformationserfassung von Chromosomen verbindet und ordnet die Genomsequenzen in Form eines Chromosoms an.

Weiters konnte das Forscher*innenteam mittels aufwendiger zytogenetischer Experimente die Genomqualität verbessern und über 98% der Sequenzen zu 21 Autosomen sowie 5X und 5Y Chromosomen des Schnabeltiers zuordnen. "Die neuen Genome sind eine enorm wertvolle öffentliche Ressource zur Erforschung der Säugetierbiologie und -evolution, die dem Schutz von Wildtieren oder sogar der Gesundheit von Menschen dienen kann", erklärt Frank Grützner.

Vom Ring zur Kette

"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die 10 Geschlechtschromosomen des Schnabeltiers einmal als Ring angeordnet sein mussten. Vermutlich haben der Erwerb des männlichen geschlechtsbestimmenden Gens und die Unterdrückung der Rekombination den ursprünglichen Chromosomenring in eine Kette aufgebrochen," ergänzt Qi Zhou. Diese Ergebnisse zu Geschlechtschromosomen, sowie weitere neue Entdeckungen zu den Schnabeltier-Genen wurden in Nature als Forschungsartikel veröffentlicht.

Unterschiedliche Systeme von Vögeln und Säugetieren

Mit ähnlichen neuen Methoden hat das Team um Zhou auch die Sequenzen der Geschlechtschromosomen von Emu und Pekingente dekodiert. Diese stellen unterschiedliche Phasen der Evolution von Geschlechtschromosomen dar. Die meisten Geschlechtschromosomen von Säugetieren und Vögeln entwickelten sich bis zu ihrer evolutionär letzten Stufe, wie etwa bei Menschen und Hühnern. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Säugetieren und Vögeln besteht allerdings darin, dass Vögel keine XY-Geschlechtschromosomen, sondern ZW-Geschlechtschromosomen haben. Das bedeutet, dass die Männchen bei Vögeln ein Paar ZZ-Chromosomen haben, während die Weibchen über ein Paar ZW-Chromosomen verfügen.

Geschlechtschromosomen von Ente und Emu entwickeln sich langsam

Die Y-Chromosomen der Männchen sowie die W-Chromosomen der Weibchen verloren fast alle funktionellen Gene und wurden zu einer "Gen-Wüste" bestehend aus sich wiederholenden Sequenzen. Nur der Emu ist eine Ausnahme. Seine Geschlechtschromosomen sehen großteils wie ein Paar Autosomen aus, wobei über zwei Drittel der Sequenzen noch zwischen den Geschlechtschromosomen mit aktiven Genen geteilt werden. "Das kann auf die vergleichsweise langsamere Evolution des Emu-Genoms zurückzuführen sein", sagt Jing Liu, Doktorand in der Forschungsgruppe von Qi Zhou. "Wir haben das neue Emu-Genom mit den Genomen von 11 anderen Vogelarten verglichen und herausgefunden, dass Vögel mit großen Körpern – wie Emu und Strauß – weniger Neuanordnungen in ihren Chromosomen hatten".

Eine andere mögliche Erklärung für die Einzigartigkeit des Emus ist, dass diese flugunfähigen großen Vögel vermutlich weniger stark der sexuellen Selektion unterliegen. Diese kann die Evolution der Geschlechtschromosomen vorantreiben, weil bei den Emus verglichen mit anderen Vögeln die Männchen und Weibchen sehr ähnlich aussehen. Das ist eine wichtige Grundlage, um zu verstehen, wie sich Geschlechtschromosomen in einer frühen Phase (bzw. in einer mittleren Phase bei der Pekingente) entwickeln. Das Team um Zhou hat außerdem in einer anderen Studie die vollständigen Genomsequenzen der Pekingente erarbeitet, bei der die Geschlechtschromosomen differenziert sind. Die drei Arten Emu, Ente und Huhn stellen die unterschiedlichen Phasen der Evolution von Geschlechtschromosomen dar.

Die Forschungen zu Emu und Ente zeigten, dass deren W-Chromosomen deutlich mehr funktionelle Gene bewahrt haben als jene des Huhns. Derart massiv unterschiedliche Evolutionsraten von Geschlechtschromosomen wurden bei den Y-Chromosomen von Säugetieren bisher nicht beobachtet. Dies weist auch auf die unterschiedliche Evolution von Geschlechtschromosomen bei Säugetieren und Vögeln hin. Die neuartigen Sequenzen von Geschlechtschromosomen bei Emu und Ente bieten außerdem eine wichtige Grundlage für Studien zu Hühnern.

Publikation in Nature:

Zhou, Y., Shearwin-Whyatt, L., Li, J. et al. Platypus and echidna genomes reveal mammalian biology and evolution. Nature (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-020-03039-0

Publikation in Genome Research:

Liu J., Wang Z., Li, J. et al. A new emu genome illuminates the evolution of genome configuration and nuclear architecture of avian chromosomes. Genome Research (2021).
DOI: 10.1101/gr.271569.120

Publikation in GigaSciece:

Li, J., Zhang J., Liu, J. et al. A new duck genome reveals conserved and convergently evolved chromosome architectures of birds and mammals, GigaScience (2021). https://doi.org/10.1093/gigascience/giaa142

Wissenschaftlicher Kontakt

Qi Zhou, PhD
Department für Molekulare Evolution und Entwicklung
Universität Wien & Life Sciences Institute, Zhejiang University
1090 - Wien, Althanstraße 14 (UZA I)
+43-1-4277-570 12
qi.zhou(at)univie.ac.at

 

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