Die Fähigkeit, den Schmerz anderer Personen nachzuempfinden, baut auf jenen neurobiologischen Prozessen auf, die die Grundlage für die Empfindung von selbst erlebtem Schmerz sind. Mit einer innovativen experimentellen Methode konnte ein internationales WissenschafterInnenteam um den Psychologen Claus Lamm von der Universität Wien nachweisen, dass die Reduktion von selbst erlebtem Schmerz auch eine Reduktion von Empathie für Schmerz bewirkt. Die ForscherInnen vermuten, dass dieser Effekt durch körpereigene Opiate beeinflusst wird und publizieren dazu aktuell in der Fachzeitschrift "PNAS".
Claus Lamm und sein interdisziplinäres Team nutzten in dieser, vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds geförderten, Studie mit über 100 TeilnehmerInnen einen innovativen methodischen "Kniff", um eine seit Jahren bestehende Lücke in der Erklärung der neurobiologischen Mechanismen von Empathie zu schließen: die sogenannte Placebo-Analgesie. Über die experimentelle Manipulation von selbst empfundenen Schmerz wurde getestet, inwiefern dies gleichermaßen zu einer Manipulation von Empathie für Schmerz führt. "Nur so lässt sich letztlich folgern, dass Empathie auf einer Simulation beruht", erklärt Claus Lamm vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Universität Wien.
Versuchspersonen in der Placebo-Analgesiegruppe berichteten eine signifikant reduzierte subjektive Schmerzwahrnehmung, welche mit reduzierter Gehirnaktivität im anterioren insulären Kortex und dem mittleren zingulären Cortex einher ging. "Diese Bereiche im Gehirn sind als Teile des neuronalen Empathienetzwerkes bekannt. Sie stellen gleichzeitig auch zentrale Bestandteile des körpereigenen Opiatsystems dar, also jenes Systems, das an der Dämpfung von selbst empfundenem Schmerz beteiligt ist", so der Psychologe.
In einem Folgeexperiment testeten die WissenschafterInnen die Beteiligung des Opiatsystems am beobachteten "Placeboempathie"-Effekt, um klarere Rückschlüsse auf beteiligte Neurotransmittersysteme ziehen zu können. Mit Hilfe eines Medikamentes, das die Opiatrezeptoren blockiert, lösten Lamm und sein Team bei 50 TeilnehmerInnen eine Blockade des "Placeboempathie"-Effekts aus. "Das macht eine mögliche Beteiligung des Opiatsystems an der 'Placeboempathie' wahrscheinlicher und stellt für uns einen bedeutenden Schritt zu einem mechanistischeren Verständnis von Empathie dar", sagt Studienleiter Lamm
Wie sieht der direkte Einfluss des Opiatsystems auf Empathie aus?
"Wir stellen uns nun die Frage, inwieweit die beobachteten Effekte im Opiatsystem direkt auf empathische Prozesse wirken, oder lediglich über den Umweg der Manipulation des eigenen Erlebens entstehen", erklärt Claus Lamm. Das Team arbeitet derzeit an einer weiteren Studie, die direkte Effekte einer Opiatverabreichung auf Empathie untersucht. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass Empathie sehr stark und unmittelbar in unseren eigenen Erfahrungen – bis hin zu deren körperlichen und neuronalen Grundlagen – begründet sein kann. Das ist mit ein Grund, warum uns die Gefühle anderer Personen so 'nahe gehen' können – weil wir sie eben nicht nur sinnbildlich so 'nachempfinden', als ob wir sie gerade selbst erleben. Andererseits erklärt es auch, warum Empathie teilweise in eine falsche Richtung gehen kann – weil wir die andere Person eben primär aus unserem eigenen Blickwinkel heraus beurteilen", erklärt Lamm.
Am Forschungsprojekt beteiligt waren ForscherInnen des MRT Exzellenzzentrums der Medizinischen Universität Wien (Christian Windischberger), des Department of Clinical Neuroscience am Karolinksa Institutet in Stockholm (Predrag Petrovic), sowie des Collective Emotions and Social Cognitive Neuroscience Laboratory am SISSA Trieste (Giorgia Silani).
Publikation in "Proceedings of the National Academy of Science"
Rütgen, M., Seidel, E.M., Silani, G., Riecansky, I., Hummer, A., Windischberger, C., Petrovic, P., Lamm, C.: Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded in self pain. Proceedings of the National Academy of Sciences
DOI: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1511269112