Uni Wien: Viren in Fließgewässern: Terra incognita für die Wissenschaft?

Zehn Millionen Viren in einem Milliliter Wasser

Viren sind in den meisten Lebensräumen allgegenwärtig. Weitgehend unerforscht ist ihre Rolle im globalen Wasserkreislauf, insbesondere in Fließgewässern. Wie in allen natürlichen Gewässern ist die Zahl der Viren auch dort extrem hoch, ihr Einfluss aber weitgehend unerforscht – vor allem, was ihre globale Bedeutung angeht. Peter Peduzzi vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanografie der Universität Wien hat zum aktuellen Forschungsstand in der renommierten Fachzeitschrift "Biological Reviews" publiziert.

Fließgewässer haben zwar nur einen sehr kleinen Anteil an den globalen Wasservorräten, sind aber für die gesamte Biosphäre und natürlich auch für den Menschen von immenser Bedeutung. Flüsse sind unerlässliche Bindeglieder in globalen Stoffkreisläufen und vielfach "Hotspots" für biochemische Umsetzungsprozesse und für Biodiversität. Neuere Schätzungen der Gesamtfläche von Fließgewässer-Netzwerken und der Menge des in Transport befindlichen Wassers zeigen, dass ihr Einfluss in der Vergangenheit deutlich unterschätzt wurde: Aber gerade diese Gewässersysteme unterliegen starken Veränderungen durch extensive Einflussnahme des Menschen.

Zehn Millionen Viren in einem Milliliter Wasser
Viren als kleinste biologische Einheiten kommen in Fließgewässern extrem häufig vor. Im Schnitt befinden sich zehn Millionen Viren in einem Milliliter Wasser. Diese sind überwiegend Bakteriophagen, sind also keine humanpathogenen Krankheitserreger mit gesundheitsgefährdendem Potenzial. Sie bringen ständig eine wechselnde Zahl ihrer Wirtszellen – heterotrophe Bakterien, Phytoplankton und andere Eukaryonten – zum Absterben und regulieren damit deren Häufigkeit und Verteilung im Wasser.

Schätzungen ergaben, dass auf diese Weise in den Ozeanen täglich bis zu zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff durch den Zerfall der Wirtszellen freigesetzt werden. Für Fließgewässer gab es bis jetzt keine entsprechenden Schätzungen. "Unter Berücksichtigung der bis jetzt vorhandenen Literatur und den Forschungen meiner Arbeitsgruppe schätzen wir die jährliche globale Freisetzung auf 600 Millionen Tonnen Kohlenstoff, der durch die Aktivität von Viren in Fließgewässern weltweit als CO2 freigesetzt wird", so Peter Peduzzi.

Beeinflusst wird dieser Prozess durch die oft variable Produktivität von Fließgewässern, die Heterogenität der unterschiedlichen Wasserkörper und die damit verbundenen hydrologischen Bedingungen. So haben beispielsweise stark durchströmte Flüsse andere Virenkonzentrationen als Stillwasserbereiche oder Au-Gewässer. "Manchmal überwiegen physikalische Bedingungen, manchmal sind biologische Prozesse ausschlaggebend", erklärt der Limnologe.

Viren scheinen auch für die Umsetzung von relativ schwer abbaubarem organischen Material aus dem terrestrischen Umland bedeutsam zu sein, wie es für Fließgewässer typisch ist. "Dort wird ständig eine große Menge an organischem Material zu CO2 remineralisiert. Auch bei diesem Vorgang scheinen Viren eine wichtige Rolle zu spielen", so der Wissenschafter.

"Die Fließgewässerforschung hat einen eklatanten Aufholbedarf in diesem Bereich, vor allem im Vergleich mit dem Stand in der marinen Forschung. Es bedarf unter anderem einer breiteren, globalen Datenbasis", weist Peter Peduzzi in seiner Studie auf die existierenden Wissenslücken hin. Die Rolle von Viren in Fließgewässern hat auch globale Bedeutung durch potenzielle Verknüpfung mit Klimaveränderungen: "Weitere Untersuchungen würden einen wesentlichen Beitrag zu aktuellen Konzepten der Fließgewässer-Ökologie und letztlich für ein modernes Management dieser wichtigen Wasserressource leisten", schließt der Forscher.

Publikation in "Biological Reviews":
Virus ecology of fluvial systems: a blank spot on the map? Peter Peduzzi, Juni 2015.
DOI: 10.1111/brv.12202

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