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MedUni Wien: Flüssige Proteinkondensate schalten Gene an

Chromosomen sind die Träger der Erbinformation und treiben im Zellkern in einem dichtgedrängten und scheinbar chaotischen Meer von Proteinen, Nukleinsäuren und anderen Molekülen. Diese interagieren in vielfältiger Weise miteinander und haben ein Hauptziel: unsere Gene am richtigen Ort und zur richtigen Zeit ein- und auszuschalten. Diese „Gen-Schalter“ sorgen dafür, dass eine Gehirnzelle anders aussieht und funktioniert als eine Muskel- oder Leberzelle und sind essentiell für alles Leben. Aber wie werden die Komponenten eines Gen-Schalters an der richtigen Stelle im Zellkern angereichert? Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Alwin Köhler zeigt nun, dass bestimmte Gene durch Proteine angeschaltet wer-den, die erstaunlicherweise die Eigenschaften einer konzentrierten Flüssigkeit haben. Die Studie wurde aktuell im Journal Nature veröffentlicht und ist an den Max Perutz Labs, einem Joint Venture der Medizinischen Universität Wien und der Universität Wien, entstanden.

Die neu entdeckten Proteine werden durch Phasentrennung angereichert und stellen ein konzentriertes Proteinkondensat in Tröpfchenform dar. Derselbe Prozess der Phasentrennung gilt für viele Produkte des täglichen Lebens, daher der häufige Packungshinweis „Vor Gebrauch gut schütteln!“. Die Funktion der flüssigen Proteinkondensate ist es, bestimmte Gene und die für deren Re-gulation wichtigen Komponenten in ihrem Inneren zu konzentrieren, um damit Gene effizient einzuschalten.

Proteinkondensate verhalten sich wie Flüssigkeiten

Die DNA, Träger aller Erbinformation, ist dicht in ein Material verpackt, das sich Chromatin nennt. Chromatin besteht aus DNA-Strängen, die um sogenannte Histone gewickelt sind. Enzyme können diese Histone und in weiterer Folge die Chromatinstruktur verändern und damit Gene ein- oder ausschalten. In ihrer aktuellen Publikation in Nature hat Alwin Köhlers Team entdeckt, dass eines dieser Chromatin-Enzyme (Bre1) im Verbund mit einem anderen Protein (Lge1) unter dem Mikroskop ein ungewöhnliches Verhalten zeigt: Lge1 bildet kugelige Formen, die wachsen, sich verformen und miteinander verbinden können. „Dieses Verhalten kennen wir nur von Flüssigkeiten, nicht von festen Strukturen“, erklärt Laura Gallego, eine der ErstautorInnen der Studie.

Proteinkondensate konzentrieren die Faktoren der Genregulation

Die ForscherInnen erkannten, dass Lge1-Tropfen keine geordnete Struktur haben, anders als bekannte Proteine in Zellen. Sie entstehen durch einen Prozess, der mit der Herstellung einer Vinaigrette vergleichbar ist. Nach kräftigem Schütteln entmischen sich Öltröpfchen und Wasser, um zu immer größeren Tropfen zu verschmelzen. Dieser Prozess, auch Phasentrennung genannt, ist aus der Chemie, der Technik, und der Physik gut bekannt, fand aber in der Biomedizin bislang wenig Beachtung. Interessanterweise legt sich Bre1 wie eine äußere Hülle um das Lge1-Tröpfchen und erzeugt damit eine Schale um einen flüssigen Kern. Die Forschungsgruppe fand heraus, dass diese Tropfen (oder Kondensate) alle nötigen Komponenten der Genregulation konzentrieren und damit an den richtigen Ort bringen. Dadurch bildet sich eine Art molekularer „Schmelztiegel“, der die Veränderung der Chromatinstruktur beschleunigt und Gene schneller aktiviert. Zusammen mit ihren KollegInnen von der Penn State University (USA) konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Lge1 und Bre1 hoch konzentriert auf sehr aktiven Genen zu finden sind. Wenn die Tröpfchenbildung blockiert wurde, zeigten sich Wachstumsdefekte in der Zelle, was die physiologische Bedeutung der flüssigen Gen-Schalter unterstreicht.

Mögliche Bedeutung für neurologische Erkrankungen

„Wir haben die Bäckerhefe als Modellorganismus verwendet und das hat uns noch nie dagewesene Möglichkeiten eröffnet. Wir konnten die chemischen Ei-genschaften der Proteinkondensate gezielt genetisch manipulieren und dadurch im Detail verstehen“, sagt Alwin Köhler, der Leiter der Studie und fügt hinzu: „Wir haben auch eine potenzielle Verbindung zu einer bislang unverstandenen Krankheit identifiziert“. Lge1 hat ein menschliches Gegenstück namens WAC. Dieses Protein verhält sich ebenfalls wie eine konzentrierte Flüssigkeit und verursacht in seiner mutierten Form das DeSanto-Shinawi Syndrom, eine neurologische Entwicklungsstörung. Ob Proteine im Zellkern also flüssig oder fest sind, könnte eine direkte Bedeutung für menschliche Erkrankungen haben, was in Zukunft genau untersucht werden soll.

Publikation:

Laura D. Gallego, Maren Schneider, Chitvan Mittal, Anete Romanauska, Ricardo M. Gudino Carrillo, Tobias Schubert, B. Franklin Pugh & Alwin Köhler: Phase separation directs ubiquitination of gene-body nucleosomes. Nature (2020) doi.org/10.1038/s41586-020-2097-z

Über die Max Perutz Labs

Die Max Perutz Labs sind ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizini-schen Universität Wien. Das Institut betreibt herausragende, international anerkannte Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Molekularbiologie. WissenschaftlerInnen der Max Perutz Labs erforschen grundlegende, mechanistische Prozesse in der Biomedi-zin und verbinden innovative Grundlagenforschung mit medizinisch relevanten Frage-stellungen.

Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna BioCenter, einem führenden Hotspot der Lebenswissenschaften in Europa. Am Institut sind rund 50 Forschungsgruppen mit mehr als 450 MitarbeiterInnen aus 40 Nationen tätig. www.maxperutzlabs.ac.at 
 

 

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