LISAvienna: Deutsche Biotechnologietage 2016

Die Deutschen Biotechnologietage 2016 fanden am 26. und 27. April in Leipzig statt. LISAvienna war vor Ort, um sich ein Bild von den aktuellen Diskussionsschwerpunkten im Nachbarland Deutschland zu machen.

Der Arbeitskreis der deutschen BioRegionen in der BIO Deutschland e. V. veranstaltet seit 2010 die jährlichen, zweitägigen Deutschen Biotechnologietage (DBT) als Forum für den Erfahrungsaustausch zwischen allen Akteuren der deutschen Biotechnologieszene. Seit ihrem Bestehen ist die Veranstaltung kontinuierlich gewachsen und hat sich zum nationalen Branchentreffen der Biotechnologie entwickelt. Heuer nahmen über 820 Personen teil.
Was bewegt die deutsche Biotech-Branche derzeit? Wir fassen für Sie einige Ausschnitte aus den jeweils 3-5 Parallelsessions zusammen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Sorgenkind Gründungsdynamik in der Biotechnologie:
Die mit 11 Firmengründungen als schwach eingestufte Gründungsdynamik des vergangenen Jahres wurde bei den DBT mehrfach beklagt. Ein Referent kritisierte fehlenden Gründergeist bei der nächsten Generation, wies auf mangelnde Vorstellungen über Kommerzialisierungswege hin und stellte fehlendes zeitliches Engagement kombiniert mit viel zu geringer Risikobereitschaft fest. Viel Lob ernteten hingegen die vielfältigen in Deutschland verfügbaren Unterstützungsangebote. Was das Privatkapital für weitergehende Investitionen betrifft waren die Aussagen gemischt – einige Vortragende vertraten den Standpunkt, dass es an PE mangle, andere meinten, es seien umfangreichere PE-Runden und einige IPOs in Vorbereitung, das nötige Geld sei vorhanden. Inzwischen scheint sich was Gründungen anbelangt die Lage zu entspannen. Indizien dafür sind die vielversprechenden Präsentationen bei der Early Stage / Start-up Session sowie die Verleihung von drei Innovationspreisen der BioRegionen und nicht zu vergessen die Prämierung von fünf GO-Bio Projekten im Rahmen der Veranstaltung. Die Geschäftsideen junger Unternehmen und von Gründungsprojekten reichen von neuen Antikörpertechnologien über immuntherapeutische Anwendungen bei Krebs oder Organtransplantationen und RNA-basierten Biomarkern bis hin zu neuartiger Bildtechnik für OP-Mikroskopie, digitaler Schlaganfallvorhersage und einem mechanisch-digitalen Blutbild für das 1 Tropfen Blut innerhalb weniger Minuten ausgewertet wird.

Moderne Pflanzenzüchtung - Es geht auch ohne GVO:
Der Keynote-Vortrag eines mittelständischen, international aktiven Saatgutherstellers veranschaulichte, dass es möglich ist, moderne biotechnologische Methoden so einzusetzen, dass für den deutschen Markt neue qualitätsreiche Sorten OHNE gentechnischer Veränderungen entwickelt werden können. Für den US-Markt setzt dieser Betrieb bei Raps hingegen fast ausschließlich auf transgene Pflanzen. Um das in einem Unternehmen zu vereinen wird eine durchdachte Innovationsstrategie mit klar definierten Anforderungen an Logistikvorgänge kombiniert. Die Repräsentantin des Unternehmens verdeutlichte die enorm lange Zeitspanne, die die Entwicklung neuer Pflanzensorten erfordert. Zahlreiche Pflanzengenerationen und umfangreiche Tests sind nötig, bevor eine neue Sorte auf den Markt gebracht werden kann. Entsprechend groß ist das Interesse am Einsatz von Technologien, die es erlauben, Zuchterfolge möglichst frühzeitig zu bestimmen oder vorherzusagen. Dass neue Sorten auch weiterhin entwickelt werden, liege aus ihrer Sicht insbesondere am Züchterprivileg im Sortenschutz – Patente hingegen seien bei diesem Prozess hinderlich.

Mangelnde Umsetzung bioökonomischer Erkenntnisse:
Heiß diskutiert wurde bei den DBT das Thema Bioraffinerien. Dazu findet augenscheinlich umfangreiche Forschung und Entwicklung in Deutschland statt. Allerdings fehlt der Schritt zur ersten Großanlage beispielsweise für die Herstellung von Ethanol der zweiten Generation, also auf Basis von Rohstoffen wie Stroh oder Holzabfällen. Italien ist auf diesem Gebiet international gesehen der Vorreiter, inzwischen sind weltweit eine Handvoll Anlagen in Betrieb und rund 20 in der Planung – keine davon in Deutschland. Dabei hätte unser Nachbarland dafür die besten Voraussetzungen. Es gibt mehrere Chemieparks, an deren Infrastruktur eine Anlage gekoppelt werden könnte, und die nötige Nähe zu den Rohstoffen ist ebenfalls gegeben. Die fehlende Umsetzung überrascht auch insofern, als nach den Berechnungen eines Referenten schon mit einem einzigen Werk nicht nur ca. 16% der für den Transportsektor nötigen Treibstoffe hergestellt werden können, sondern gleichzeitig auch die Klimaziele, die sich Deutschland gesteckt hat, mehr als erfüllt werden. Kleinere Pilotanlagen sind in Betrieb und  man hat dadurch viel gelernt. Der Referent eines Betreibers einer derartigen Anlage betont jedoch, dass nun die praktische Umsetzung einer Großanlage folgen sollte. Insgesamt scheint es in der Bioökonomie weltweit viel ungenutztes Potential zu geben. Auch Urban Mining mit biotechnologischen Mitteln wird zum Beispiel getestet – zukünftig könnten eventuell aus der Asche von Müllverbrennungsanlagen das darin enthaltene Metall (auch Gold) und andere Elemente zurückgewonnen werden.

Big Data und personalisierte Medizin:
Erstmals wurde dem Thema „Big Data“ viel Zeit im Programm eingeräumt. Fakt ist, dass Datenmenge und Datenvielfalt im Gesundheitsbereich massiv ansteigen und dass es Wege braucht, um damit sinnvoll umzugehen. Einig waren sich die Diskutanten darin, dass der konkrete Patientennutzen im Vordergrund stehen muss. Im Rahmen der DBT wurde angekündigt, dass zukünftig sogenannte Begleitdiagnostik besser von den Krankenkassen erstattet wird, was ein starkes Signal für die praktische Umsetzung der personalisierten Medin darstellt. Dadurch sollen möglichst jene Therapien eingesetzt werden, die bei einem bestimmten Patienten Aussicht auf Erfolg haben und die dazu beitragen, dass auch der Behandlungsverlauf besser kontrolliert werden kann. Um die nötige gute Datenqualität sicherzustellen, sind zahlreiche innovative Lösungen gefragt. Das beginnt bei qualitätsgesicherten Abläufen und Werkzeugen für die Probenentnahme, der Analyse und endet aber nicht bei der Datenauswertung oder der Datenaufbewahrung. Auch nicht-technologische Innovationen sind nötig, wie z.B. die Regelung der Datennutzung in der Zukunft. Dabei gilt es, die spezielle Natur der Daten zu bedenken, da z.B. genetische Codes per se nicht anonymisierbar sind und außerdem mehr als ein einzelnes Individuum betreffen.

German Accelerator Life Sciences nimmt Fahrt auf:
Im Rahmen der DBT wurde der neue German Accelerator Life Sciences vorgestellt. Dieser soll jährlich rund zehn innovativen Unternehmen im Gesundheitsbereich – vom Start-up bis zu etwa 10 Jahre alten Firmen – den Schritt auf den US-Markt erleichtern. Anders als der Name vermuten lässt, durchlaufen die Unternehmen kein klassisches, vordefiniertes Programm, sondern erfahren individuelle, flexible Unterstützung und Begleitung. Ziel ist, dass deutsche Firmen rasch von der Innovationsaffinität und Größe des amerikanischen Markts profitieren. Schlüssel zum Erfolg soll ein großes Netzwerk an Expertinnen und Experten sein sowie das Accelerator-Management selbst, das Kontakte zu den Großunternehmen, Investoren und Akteuren im Gesundheitswesen vor Ort aufbaut. Die ersten vier Firmen wurden bereits ausgewählt, darunter Ayoxxa aus Köln, der Gewinner des aws-Businessplanwettbewerbs „Best of Biotech“ im Jahre 2010. Die betreuten Firmen können sich über inhaltlich und zeitlich an ihrem Bedarf orientierte Unterstützung freuen, Personal- und Reisekosten tragen die Teilnehmenden als Zeichen ihres ernsthaften Engagements jedoch selbst. Räumlich gesehen wird der Accelerator neben einem Büro in Berlin über Räumlichkeiten im Cambridge Innovation Center (CIC) bei Boston verfügen. Hier baut Bayer gerade ein Innovationszentrum auf. Insgesamt erinnert dieser Unterstützungsansatz an die heimische Go Silicon Valley Initiative, von der beispielsweis die Wiener SCARLTRED Holding profitierte.

Lohnenswerter Blick über die Landesgrenzen:
Die Veranstalter trugen der Internationalität der Branche Rechnung und die DBT verzeichneten erstmals quer über das gesamte Programm verteilt eine Reihe englischsprachiger Präsentationen. Zudem wurde in einer Frühstücksrunde ein kleiner, aber lohnenswerter Blick über die Landesgrenzen hinaus gewagt: Ein Vertreter der polnischen Life Sciences Community berichtete von rund 100 innovativen Biotech-Firmen und ebenso vielen Medizinprodukte-Unternehmen. Er wies außerdem auf rund 50 Biotechnologie-Firmen in Ungarn hin, wobei viele davon nur über persönliche Kontakte und nicht via Webpage zugänglich seien. Die gezeigten Erfolgsbeispiele aus Tschechien und Polen ließen insgesamt wohl so manch deutschen Unternehmer vor Neid erblassen. Unter anderem stellte sich ein international ausgerichtetes Unternehmen aus Prag vor, das die erste Phase III Studie Tschechiens betreibt. Auch ein Unternehmen mit Hauptsitz in Lodz fand Erwähnung, das einen Börsengang plant. Und ein polnischer Arzneimittelproduzent sprach über die Pläne hinsichtlich der Eroberung neuer Märkte mit Biosimilars und weiteren Produkten in Zusammenarbeit mit Partnern weltweit. Für den Biosimilars-Markt scheinen außerdem Technologien gefragt zu sein, die es ermöglichen, Bioäquivalenz zu zeigen. Relativ neu am Markt ist diesbezüglich ein Gerät mit dem die mechanischen und physiologisch-chemischen Bedingungen simuliert werden können, denen Tabletten im Verdauungstrakt ausgesetzt sind.
Abschließend ein Wort zu BIO Deutschland und Biosaxony als gastgebende Bioregion. Neben den Veranstaltungsinhalten selbst hinterließen auch das Konferenzzentrum am Zoo und die Veranstaltungsorganisation einen sehr professionellen und guten Eindruck. Die Messlatte für Hannover, wo die DBT im kommenden Jahr stattfinden werden, liegt hoch.

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