Jeden Tag teilen sich in unserem Körper Milliarden von Zellen. Dies geschieht einerseits bei Wachstumsprozessen, aber auch kurzlebige Zelltypen, wie zum Beispiel Blut-, Haut- und Darmzellen müssen sich stets erneuern. Doch die Zellteilung, genannt Mitose, ist ein komplexer und kritischer Prozess. Wird die Teilung nicht korrekt gesteuert, können die Zellen entarten. Dies könnte unter anderem auch Krebs zur Folge haben.
Rätsel der Zellteilung entschlüsselt
Sich teilende Zellen durchwandern verschiedene Phasen. Über den gesamten Zellkern erstreckt sich eine diffuse Masse aus DNA und Proteinen, die einem fadenförmigen Netzwerk gleicht. Sobald sich die Zellen jedoch auf die nächste Teilung vorbereiten, verändert sich diese Kernmasse, genannt Chromatin, drastisch. Sie verdichtet sich im Laufe der Zellteilung zu den charakteristischen x-förmigen Chromosomen, die sich frei im Zellraum bewegen und an einen bestimmten Platz wandern, wo sie dann in zwei Hälften aufgeteilt werden. So wird je eine identische Kopie des Genmaterials an die zukünftigen Tochterzellen weitergeben. Bisher war unklar, wie sich aus der Chromatin-Masse die einzelnen Chromosomen herausbilden, und welcher Mechanismus verhindert, dass die Chromosomen zusammenklumpen, sodass sie „frei schwimmen“ können. Wiener Forscher_innen konnten nun dieses molekulare Rätsel entschlüsseln.
In einer aktuellen Studie stieß ein Forschungsteam am IMBA unter der Leitung von Daniel Gerlich auf das Protein Ki-67. Die Wissenschaftler_innen entdeckten, dass Ki-67 die Chromosomen wie eine Art Mantel umgibt und dafür sorgt, dass die Chromosomen bei der Teilung nicht aneinander kleben bleiben. Ki-67 wird bereits in der medizinischen Diagnostik als Tumormarker verwendet, um Zellwachstum zu messen. Seine genaue Funktion während der Zellteilung war jedoch bis dato nicht erforscht.
Ki-67: Ein Protein, das wie Seife wirkt
Die Ergebnisse der Studie, die in der jüngsten Ausgabe von „Nature“ zu lesen sind, zeigen, dass sich ohne die Mithilfe von Ki-67 zu Beginn der Zellteilung zwar Chromosomen bilden. Allerdings klumpen sie ohne Ki-67 zusammen und können sich nicht mehr frei bewegen. Daher teilen sich Zellen ohne Ki-67 viel langsamer.
Sara Cuylen, Erstautorin der Studie, erklärt: “ Ein Ende des Proteins Ki-67 bindet an die Chromosomen, während das andere Ende von Ki-67 sich von Chromosomen wegstreckt. Deswegen formt Ki-67 „bürstenartige“ Strukturen. Es ummantelt die Chromosomen und bildet so eine Barriere, damit die Chromosomen nicht zusammenkleben und sich aneinander vorbei bewegen können.“ Diese besondere physikalische Eigenschaft des Proteins erinnert an oberflächenaktive Stoffe, wie etwa Waschmittel oder Seife. „Es ist das erste Mal, das man nachweisen konnte, dass auch Proteine solche oberflächenaktiven Eigenschaften aufweisen. Das war für uns eine echte Überraschung! “, so die junge Forscherin.
Dieser neuentdeckte Mechanismus, der die Chromosomen aneinander vorbeigleiten lässt, könnte laut Daniel Gerlich, Forschungsgruppenleiter am IMBA, auch eine wichtige Rolle für die räumliche Anordnung von anderen Zell-Organellen spielen. Eine Zelle besteht aus vielen kleinen einzelnen Unterteilungen, die jeweils bestimmte Funktionen erfüllen, so wie die Organe eines Körpers. Manche dieser „Zellabteile“, sind durch Membranen abgegrenzt, andere jedoch nicht. Und genau bei diesen Organellen ohne Membran ist es bis jetzt unklar, wie sie sich bilden und was sie voneinander getrennt hält. “Ki-67 scheint eine Schlüsselfunktion für die räumliche Anordnung von Chromosomen in der Zelle zu haben. Wir sind gespannt, ob wir weitere Proteine mit ähnlichen „Seifen-Eigenschaften“ finden und deren Funktion in der Zellorganisation beschreiben können“, fasst Daniel Gerlich zusammen.
Originalpublikation: Cuylen, S., Blaukopf, C., Politi, A.Z., Müller-Reichert, T., Neumann, B., Poser, I., Ellenberg, J., Hyman, A.A., Gerlich, D.W. 2016, Ki-67 acts as a biological surfactant to disperse mitotic chromosomes. Nature DOI: 10.1038/nature18610
Zu den Pressefotos: de.imba.oeaw.ac.at/index.php?id=516
IMBA:
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie, Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer Forschung in Österreich.