EU-Kommissarin besucht St. Anna: „Europäischer Krebsplan legt besonderes Augenmerk auf Kinderkrebs“

Kinderkrebs ist anders als Krebs bei Erwachsenen, was speziell auf Kinderkrebs zugeschnittene Forschungsförderung notwendig macht.

Kinderkrebs ist anders als Krebs bei Erwachsenen. Deshalb muss er auch eigens beforscht werden, was speziell auf Kinderkrebs zugeschnittene Forschungsförderung notwendig macht. Das, der kinderspezifische Medikamentenbedarf und eine Verbesserung der Langzeitnachsorge für Überlebende nach Krebserkrankungen waren Inhalt einer Diskussion mit EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, M. Ed., und Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein an der St. Anna Kinderkrebsforschung und dem St. Anna Kinderspital.

Dank jahrzehntelanger Forschung und klinischer Studien sind die Überlebensraten bei Kinderkrebs heute sehr gut. „Der Preis dafür ist allerdings ein hoher“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Ruth Ladenstein, MBA, cPM, Leiterin der Studienabteilung (S2IRP) an der St. Anna Kinderkrebsforschung und Onkologin am St. Anna Kinderspitals. „Denn sehr viele Erfolge verdanken wir älteren Medikamenten, die keine spezielle Zulassung für die Anwendung bei Kindern haben (Anm.: Off-label use). Das birgt natürlich Risiken.“

Kinder in den Forschungs-Fokus

Kinderkrebs-Überlebende leiden zu 60 bis 70 Prozent unter Spätfolgen ihrer Erkrankung und deren Behandlung. „Daher brauchen wir dringend neue Medikamente, die eigens für Kinder geprüft werden und nicht nur effektiver, sondern auch besser verträglich sind“, so Ruth Ladenstein. Die Kinderkrebsforschung ist elementar, sowohl für eine kindergerechte frühe Arzneimittelentwicklung, als auch für die daraus folgende klinische Prüfung in ganz Europa. Assoc.-Prof. Dr. Kaan Boztug, Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung: „Im von der St. Anna Kinderkrebsforschung und dem St. Anna Kinderspital gemeinsam getragenen Comprehensive Cancer Center decken wir das komplette Spektrum ab, von der Grundlagenforschung bis zur konkreten Anwendung in klinischen Studien im Spital.“

Die Auswahl geeigneter Medikamente für Krebs bei Kindern und Jugendlichen müsse noch viel stärker auf einem molekularen Verständnis der Erkrankungen basieren um eine Revolution in der Kinderkrebstherapie einzuleiten mit höheren Chancen auf ein langfristiges besseres Überleben und Minimierung von Spätfolgen. „Auch jene Tumore, die auf etablierte Therapien nicht ansprechen, sollen künftig effizient und erfolgreich behandelt werden. – Dazu müssen alle modernen Technologien im Forschungsbereich ausgeschöpft und das Verständnis für die Tumorentstehung bei kindlichen Krebsformen vertieft werden“, führt Kaan Boztug weiter aus, der auch als Arzt am St. Anna Kinderspital tätig ist. Weiters gilt es zu prüfen, welches Wissen aus der Erwachsenenonkologie übersetzt werden kann. Beispielsweise hat die St. Anna Kinderkrebsforschung vor kurzem aufgezeigt, dass ALK-Veränderungen bei kindlichen Nerventumoren die Überlebenschance verringern. ALK-Inhibitoren aus der Erwachsenenonkologie könnten demnach auch bei Kindern mit Nerventumoren hilfreich sein.

EU ist essenzieller Fördergeber

Die St. Anna Kinderkrebsforschung arbeitet national und international eng mit anderen Expertisezentren zusammen. „Wir haben die richtigen Netzwerke und gemeinsam können wir viel erreichen. Oft fehlen uns aber noch die adäquaten Mittel, weil die Arzneimittelentwicklung im Bereich seltener Erkrankungen – und dazu zählt Kinderkrebs – leider nicht wirtschaftlich getragen ist, wie etwa vergleichsweise häufige Indikationen im Erwachsenenbereich“, erklärt Ruth Ladenstein. „Damit brauchen Kinder besondere Aufmerksamkeit und auch spezielle Fördermöglichkeiten, damit die vielen offenen Fragen in künftigen Förderprogrammen mitberücksichtigt werden“, so Ruth Ladenstein.

Dass sich diese Hoffnung erfüllt, scheint ein realistisches Szenario zu sein. EU-Kommissarin Stella Kyriakides, M. Ed., zuständig für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, gibt zu bedenken: „Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern über zwölf Monaten in Europa. Die Pandemie hat uns vor weitere Herausforderungen gestellt. Reguläre Kontrollen und manchmal auch Therapien wurden nach hinten verschoben. Wir wissen alle, was das bedeutet – nicht nur für die klinischen Ergebnisse, sondern auch, was die Belastung innerhalb der Familien anbelangt. Daher haben wir im Europäischen Krebsplan – budgetiert mit 4 Milliarden Euro – ein besonderes Augenmerk auf Kinderkrebs gelegt. Wir haben nun die erste Ausschreibung im Programm EU4Health gestartet, dazu zählt auch der Aufbau eines Netzwerks für junge Erwachsene, die eine Kinderkrebserkrankung überlebt haben.“ Von Seiten Österreichs erhalte nicht nur der EU-Krebsplan, sondern auch die Mission Cancer vollinhaltliche Unterstützung, erklärt Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein. Die EU-Initiative Mission Cancer, ko-entwickelt von Ruth Ladenstein als Mitglied des EU Cancer Mission Boards, zielt darauf ab, dass die speziell mit pädiatrischen Krebserkrankungen verbundenen Probleme aktiv angegangen werden.

Gleich-Behandlung ohne Grenzen

Weiteres Diskussionsthema waren die innerhalb Europas sehr ungleichen Überlebenschancen von krebskranken Kindern. „Wir müssen sicherstellen, dass Kinder in Europa Zugang zu State-of-the-Art-Therapien haben“, betont Stella Kyriakides. Auch Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Holter, Ärztlicher Direktor des St. Anna Kinderspitals und Institutsleiter der Kinderkrebsforschung, ist das ein wichtiges Anliegen: „Unser Kinderkrebszentrum hat eine lange Tradition in Cross Border Healthcare. Es ist uns ein Herzensanliegen, dass beste klinische Expertise sowie die neuesten Erkenntnisse der Forschung allen Kindern in Europa, unabhängig von ihrem Wohnort, zugutekommen.“ Ein Instrument, mit dem gleiche Überlebenschancen für alle krebskranken Kinder in Europa erzielt werden sollen, ist das europäische Referenznetzwerk für pädiatrische Onkologie, kurz ERN PaedCan – koordiniert von Ruth Ladenstein. „Dieses Netzwerk verknüpft von der EU-Kommission akkreditierte Europäische Kinderkrebszentren und schafft eine klare Steuerungsstruktur für den Wissensaustausch und die Koordinierung der Versorgung,“ so Ruth Ladenstein. Wolfgang Mückstein kommentiert: „Solche Netzwerke bieten erstmals eine strukturelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung Europas. Das wird auch in Zukunft sehr wichtig sein.“

ERN PaedCan verfolgt zahlreiche Strategien, um spezielles Fachwissen und lebensrettende Behandlungen von Kinderkrebs in der gesamten EU zugänglich zu machen. Eine davon ist das sog. Twinning: „In mehreren europäischen Ländern, die in der Versorgung krebskranker Kinder Aufholbedarf haben, ist es gelungen, Zentren mit Potenzial als affiliierte Partner zu gewinnen. Diese Zentren erhalten über Twinning-Programme Unterstützung von einem etablierten Zentrum, um einen höheren Standard in Ausbildung, Forschung und Versorgung zu erreichen. „Zur Überwindung bestehender Ungleichheiten in Europa brauchen wir weitere Twinning-Projekte, die über nicht-kompetitive Fördergelder finanziert werden müssen“, fordert Ruth Ladenstein. Auch in diesem Punkt stimmt Stella Kyriakides zu: „Spezielle Trainingsprogramme zur Unterstützung der Kinderkrebs-Community beim Aufbau starker multidisziplinärer Workflows sind enorm wichtig. Wir haben uns mit dem EU-Krebsplan ein ambitioniertes Programm vorgenommen. Was nun zählt ist die Implementierung und hier bitte ich alle relevanten Stakeholder, Medienschaffenden und Patientinnen und Patienten um Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen einmal mehr für das Commitment und die Forschung die Sie hier betreiben. Gemeinsam können wir Kindern besser helfen.“

Was Kinderkrebs-Überlebende brauchen

Ein wesentliches Ziel des europäischen Krebsplans ist die Verbesserung der Lebensqualität für Krebspatientinnen und -patienten und Überlebende. Langzeitfolgen von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter werden mitunter zu spät oder gar nicht erkannt und behandelt. Ab einem Alter von 18 Jahren ist die Pädiatrie für die notwendige Langzeitnachsorge nicht mehr zuständig. Andere Anlaufstellen sind mit den speziellen Bedürfnissen dieser Gruppe überfordert. Denn oft fehlen vollständige qualitätsgesicherte Informationen in komprimierter Form als Basis für die Nachsorge mit gezielten Kontrolluntersuchungen als auch Behandlungspläne für den Nachsorgebereich zur Diagnose und Therapie allfälliger Spätfolgen nach erfolgreicher Krebstherapie.

Ein Tool, das dem Informationsmangel österreichweit entgegenwirken und die individuelle Nachsorge erleichtern soll, ist der Survivorship Passport (SUPA), der im Rahmen mehrerer von der EU geförderter Projekte entwickelt wurde und seither seiner österreichischen und in der Folge europaweiten Implementierung harrt. Im nationalen Krebsrahmenprogramm wurde bereits 2014 die Implementierung des SUPA als operatives Ziel festgehalten. Jede in Österreich an Kinderkrebs erkrankte Person sollte demnach einen SUPA erhalten, der die onkologischen Diagnosen und Therapien kompakt zusammenfasst und individuelle Nachsorgeempfehlungen enthält.

Nun fordert die Patientenorganisation Survivors Austria, einmal mehr die Umsetzung von SUPA in der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA). Vorstandsmitglied Mag. Carina Schneider, die seit ihrer eigenen Krebserkrankung im Jugendalter als Patientenvertreterin tätig ist, ruft die Politik auf, nicht länger zu warten: „Wir haben in Österreich schon vor so vielen Jahren das Modell Survivorship Passport etabliert, ganz Europa hat viel in die Entwicklung investiert, nun ist die Integration in ELGA der notwendige nächste Schritt, damit der SUPA endlich helfen kann. Wann wird unser Gesundheitssystem uns Survivors endlich ermöglichen, vom SUPA Gebrauch zu machen um uns den Umgang mit Spätfolgen zu erleichtern?“

„Sie haben Recht. Der Survivorship Passport trat aufgrund der Pandemiebekämpfung in den Hintergrund. Jetzt kümmern wir uns darum, dass bei diesem wichtigen Thema etwas weitergeht“, kündigt Wolfgang Mückstein an. Dr. Katharina Reich, Sektionsleiterin VII für Öffentliche Gesundheit und Gesundheitssystem, ergänzt: "Uns ist es ein großes Anliegen, dass Überlebende von Kinderkrebs diesen wichtigen Teil der Krankengeschichte wie einen roten Faden mittels moderner Strukturen mitführen können. Am Projekt wird intensiv gearbeitet.“

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