Die Erforschung von Zellen ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer personalisierten Medizin. Vor fünf Jahren starteten WissenschafterInnen weltweit das Projekt „Human Cell Atlas“ mit dem Ziel, sämtliche Zellen im menschlichen Körper zu katalogisieren. Diese Daten haben zum Beispiel geholfen, sehr schnell diejenigen Zelltypen zu identifizieren, die das Coronavirus besonders gut infizieren kann.
Um die Erstellung solcher Zell-Kataloge zu beschleunigen und zu verbessern, entwickelten Paul Datlinger und André F. Rendeiro aus der Forschungsgruppe von Christoph Bock am CeMM eine Methode, um die Aktivität der Gene in sehr vielen Einzelzellen gleichzeitig auslesen zu können. Diese „scifi-RNA-seq“ (für: „single-cell combinatorial fluidic indexing“) genannte Methode markiert die RNA vieler Zellen vorab mit Barcodes, bevor die Zellen in einem Mikrofluidik-Chip aufgelöst und ihre RNA zur EinzelzellSequenzierung vorbereitet wird. Durch diese Barcodes wird ein wesentliches Problem bestehender Methoden zur Einzelzell-Sequenzierung überwunden.
Das bisher genutzte Verfahren steht vor der Herausforderung, dass Einzelzellsuspension nur in einer sehr niedrigen Konzentration in den Mikrofluidik-Chip geladen werden kann, um zu vermeiden, dass zwei Zellen im selben Emulsionströpfchen landen, wodurch ein verfälschtes Zellprofil entstehen würde. Der Großteil der Emulsionströpfchen muss daher leer bleiben, um Abstand zu den geladenen Tröpfen zu schaffen. Die Reagenzien werden also nur sehr ineffizient genutzt.
Durch die vorgeschaltete Markierung der Zellen mit diversen zusätzlichen Barcodes können die Emulsionstropfen bei scifi-RNA-seq mit vielen Zellen gleichzeitig beladen und trotzdem Einzelzellen analysiert werden. Dies spart Zeit und Kosten. Studienautor Paul Datlinger erklärt: „Auf dem populären 10x-Genomics-System messen wir mit dieser Methode 15-fach mehr Einzelzellen. Die zusätzlichen Barcodes erlauben es außerdem, tausende Proben zu markieren und in einer einzigen MikrofluidikAnalyse zu prozessieren. So konnten wir im Rahmen unserer Studie einen CRISPR-Screen mit EinzelzellSequenzierung in menschlichen T-Zellen durchführen. In Zukunft soll unsere Methode unter anderem dabei helfen, Immuntherapien für die Behandlung von Krebs zu verbessern.“
Effiziente Hochdurchsatz-Methode mit vielfachem Anwendungsbereich
Von der neuen Methode profitieren besonders jene Projekte, die sehr viele Zellen oder sehr viele Proben mit Einzelzell-Sequenzierung analysieren wollen. Projektleiter Christoph Bock erklärt: „scifi-RNA-seq ermöglicht eine effiziente RNA-Sequenzierung von Millionen Einzelzellen und vereinfacht damit die Charakterisierung komplexer Gewebe, Organe und ganzer Organismen. Auch im biomedizinischen Bereich ist es oft wichtig, sehr viele Einzelzellen gleichzeitig zu analysieren, zum Beispiel zur Entdeckung seltener Stammzellpopulationen in Tumoren oder Krebszellen im Blut. Außerdem kann scifi-RNA-seq dazu beitragen, dass Wirkstoff-Screens und CRISPR-Screens zunehmend mit hochauflösender EinzelzellSequenzierung kombiniert werden.“
Die Studie „Ultra-high-throughput single-cell RNA sequencing and perturbation screening with combinatorial fluidic indexing” erschien am 31. Mai 2021 in der Zeitschrift Nature Methods, DOI: 10.1038/s41592-021-01153-z
AutorInnen: Paul Datlinger, André F. Rendeiro, Thorina Boenke, Martin Senekowitsch, Thomas Krausgruber, Daniele Barreca, Christoph Bock;
Förderung: Die Studie wurde im Rahmen von zwei FWF-Sonderforschungförderungen (FWF SFB F6102; FWF SFB F7001) durchgeführt. Thomas Krausgruber wurde finanziell unterstützt durch das Lise-MeitnerStipendium des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF M2403), Christoph Bock durch einen ERC Starting Grant (Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union, Nr. 679146).
Christoph Bock leitet seit 2012 eine Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ist seit 2021 Professor für Medizinische Informatik an der Medizinischen Universität Wien. Vor seiner Zeit am CeMM war Christoph Bock Postdoc am Broad Institute of MIT and Harvard und der Harvard University (2008-2011) sowie Dissertant am Max-Planck-Institut für Informatik (2004-2008). Er ist außerdem wissenschaftlicher Koordinator der Biomedical Sequencing Facility von CeMM und MedUni Wien, „Key Researcher“ am Ludwig-Boltzmann-Institut für Seltene und Undiagnostizierte Erkrankungen (LBI-RUD), Fellow des European Lab for Learning and Intelligent Systems (ELLIS) und gewähltes Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Er erhielt wichtige Forschungspreise, unter anderem die Otto-Hahn-Medaille der Max-PlanckGesellschaft (2009), einen ERC Starting Grant (2016-2021), einen ERC Consolidator Grant (2021-2026) und den Overton-Preis der International Society for Computational Biology (2017). Er wird für 2019 und 2020 in der globalen Liste der „Highly Cited Researchers“ von Clarivate Analytics (ISI Web of Science) geführt
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at
Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 30 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 12 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. www.meduniwien.ac.at