CeMM: Leukämie im Therapieverlauf: Dasselbe genetische Programm je nach Patient ganz unterschiedlich schnell

ForscherInnen des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben gemeinsam mit Partnern aus Budapest eine moderne, gezielte Leukämie-Therapie im Zeitverlauf untersucht und erhebliche Unterschiede zwischen Patienten beobachtet. Der in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Artikel basiert auf einer umfangreichen Einzelzell-Sequenzierung und epigenetischen Analyse von Krebszellen und Immunzellen im Therapieverlauf. Er deckt die molekularen Abläufe bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) auf, die mit dem Krebsmedikament Ibrutinib behandelt werden. Diese Ergebnisse sollen zur Entwicklung von personalisierten Therapie-Ansätzen für die Behandlung dieser Form von Leukämie beitragen, wie sie besonders häufig bei älteren Menschen auftritt.

Chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist die häufigste Form von Blutkrebs (Leukämie) in der westlichen Welt und betrifft ungefähr einen von Hundert Krebspatienten. Diese Art von Krebs erfasst Lymphozyten (einer Art weißer Blutkörperchen), die im Knochenmark produziert werden. CLL ist durch die Proliferation abnormaler Lymphozyten (B-Zellen) gekennzeichnet, die nicht reifen und außer Kontrolle geraten. Diese abnormalen Zellen reichern sich im Knochenmark und in den Lymphknoten an, ersetzen andere gesunde Zelltypen und behindern deren normale Entwicklung. Aufgrund der klinischen und molekularen Heterogenität dieser Krankheit ist es eine Herausforderung, für jeden Patienten die passende Therapie zu finden. Einige Patienten können viele Jahre gut mit der Krankheit leben, während die Erkrankung bei anderen schnell fortschreitet und eine rasche medizinische Intervention erfordert.

Das Krebsmedikament Ibrutinib, ein Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK), ist bei den meisten Patienten mit CLL sehr wirksam. Es ist aufgrund seiner klinischen Wirksamkeit und Verträglichkeit die Standardtherapie für die Versorgung der meisten Patienten. Es heilt die Krankheit jedoch nicht und die Patienten müssen dauerhaft behandelt werden. Christoph Bock und seine Gruppe am CeMM untersuchten die molekularen Auswirkungen, mit denen CLL-Zellen und andere Immunzellen auf die Behandlung mit Ibrutinib bei Patienten mit CLL ansprechen. Ihr Ziel war es, die epigenetischen und transkriptionellen Muster aufzudecken, die vorhersagen, wie schnell sich die Behandlung auf die CLL-Zellen auswirkt und wie lange es dauert, bis die individuellen Patienten auf die Therapie ansprechen.

In früheren Studien hatten Wissenschaftler einzelne Aspekte der molekularen Reaktion auf Ibrutinib untersucht, wobei der Schwerpunkt hauptsächlich auf Veränderungen in der DNA und in der Gen-Aktivität von Krebszellen lag. Zum ersten Mal bieten CeMM-Forscher nun eine umfassende Analyse des genetischen Programms, dass von diesem Medikament ausgelöst wird. Die Autoren verwendeten eine Kombination aus Immunphänotypisierung, Einzelzell-Sequenzierung und epigenetischer Analyse, um die Regulation in CLLZellen und anderen Zelltypen des Immunsystems gemeinsam darzustellen. Diese Analyse wurde zu acht vordefinierten Zeitpunkten während der Ibrutinib-Therapie durchgeführt, wobei die Patienten über einen standardisierten Zeitraum von 240 Tagen nach Beginn der Behandlung beobachtet wurden.

Durch eine integrative bioinformatische Analyse des resultierenden Datensatzes konnten die Autoren im Detail beschreiben und verstehen, wie Ibrutinib über im Therapieverlauf bei allen Patienten ähnliche Auswirkungen auf Krebszellen hat. Sie stellten fest, dass Ibrutinib direkt das Zentrum der CLL-spezifischen Gen-Aktivität angreift, wodurch die Gene, die die Krebszellidentität der CLL-Zellen prägen, abgeschaltet werden und sie dann in einen Ruhezustand versetzt werden. Dadurch teilen sich die Krebszellen nicht mehr, sondern warten, dass sie sich unter den richtigen Bedingungen eventuell erneut vermehren können.

Die vorliegende Studie von André Rendeiro, Thomas Krausgruber und Kollegen ist das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Forschern der Abteilung für Hämatologie und Stammzelltransplantation des Nationalen Instituts für Infektologie und Hämatologie des Zentralkrankenhauses für Süd-Pest und der Abteilung für Pathologie und experimentelle Krebsforschung der Semmelweis Universität in Budapest (Ungarn). Es stellt eine der ersten hochauflösenden genomischen Zeitreihen der molekularen Reaktion auf eine gezielte Therapie bei Krebspatienten dar. Damit eröffnet sich ein breit einsetzbarer Ansatz zur Analyse der genetischen Programm, die von Krebsmedikamenten ausgelöst werden. Außerdem könnte die Studie helfen, das Ansprechen einzelner PatientInnen auf diese Krebstherapie frühzeitig zu erkennen und auf molekularer Ebene zu überwachen.

Die Studie

„Chromatin mapping and single-cell immune profiling define the temporal dynamics of ibrutinib response in chronic lymphocytic leukemia“ erschien in der Zeitschrift Nature Communications am 29.01.2020. DOI: 10.1038/s41467-019-14081-6

Autoren:

André F. Rendeiro*, Thomas Krausgruber*, Nikolaus Fortelny, Fangwen Zhao, Thomas Penz, Matthias Farlik, Linda C. Schuster, Amelie Nemc, Szabolcs Tasnády, Marienn Réti, Zoltán Mátrai, Donat Alpar+, Csaba Bödör+, Christian Schmidl+, Christoph Bock+ (*geteilte Erstautorschaften, +geteilte Ko-Letztautorschaften)

Fördermittel:

Die Studie wurde mit Unterstützung eines New Frontiers Group-Preises der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union (Grant Agreement Nr. 679146, verliehen an Christoph Bock) finanziert. Thomas Krausgruber wurde durch ein Lise-Meitner-Stipendium des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF M2403) unterstützt. Nikolaus Fortelny wurde durch ein Stipendium der European Molecular Biology Organization (EMBO ALTF 241-2017) unterstützt. Donat Alpar und Csaba Bödör wurden durch die Stipendien K119950, KH17-126718, NVKP_16-1-2016-0004 und NVKP_16-1-2016-0005 des Ungarischen Nationalen Amtes für Forschung, Entwicklung und Innovation, des Janos Bolyai-Forschungsstipendiums und das LP95021-Stipendium der Ungarischen Akademie der Wissenschaften unterstützt. Christian Schmidl wurde von einem Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung unterstützt.

Christoph Bock leitet eine Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Bereich der Genomforschung und der personalisierten Medizin. Außerdem ist er Gastprofessor an der Medizinischen Universität Wien, wissenschaftlicher Koordinator der Biomedical Sequencing Facility am CeMM sowie Gruppenleiter am Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.oeaw.ac.at 

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