Akute myeloische Leukämie (AML) ist eine aggressive Form von Blutkrebs, sie zählt zu den häufigsten Kinderkrebsarten. AML-Zellen tragen oft Mutation in einem bestimmten Gen, dessen Funktion von einem komplexen Netzwerk aus Protein-Interaktionen abhängt. Mit einer Kombination hochmoderner Analyseverfahren aus dem Bereich der Genomik und Proteomik ist es WissenschaftlerInnen des CeMM und des LBI CR gelungen, ein Protein in diesem Netzwerk zu identifizieren, das entscheidend für das Überleben der AML-Zellen ist. Fehlt das Protein, hören die Krebszellen auf zu wachsen und häufen DNA-Schäden an, was sie für Krebsmedikamente empfindlich macht – ein neuer potentieller Ansatz für gezielte Therapien. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Akute myeloische Leukämie ist keine einzelne Erkrankung. Unter dem Begriff wird eine Gruppe von Leukämien zusammengefasst, die sich aus unreifen Blutzellen im Knochenmark bilden. Wenn diese sogenannten myeloiden Zellen erkranken, wachsen und teilen sie sich so rasant, dass sie die gesunden Zellen aus dem Knochenmark und schließlich auch aus dem Immunsystem verdrängen. Unbehandelt führt AML innerhalb von Wochen bis Monaten zum Tod. Da myeloide Zellen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien zu Krebszellen werden können, ist AML eine äußerst heterogene Erkrankung und schwer zu behandeln. Daher gehört es zu den dringendsten Aufgaben von Krebsforschern, Angriffspunkte für Wirkstoffe zu finden, die gegen möglichst viele Formen von AML wirksam sind.
Mutationen des MLL-(Mixed lineage leukemia-) Gens sind von besonderem Interesse, da sie in vielen AML Erkrankungen vorkommen. Sie werden durch Umlagerungen großer DNA-Stücke, sogenannter chromosomaler Translokationen, verursacht, die zu der Fusion zweier Gene führen können. Für das MLL-Gen sind Fusionen mit über 75 anderen Genen bekannt. Die daraus resultierenden MLL-Fusionsproteine wirken innerhalb von großen Proteinkomplexen, von denen manche entscheiden für die Krebsbildung sind – sie werden als Effektoren bezeichnet und sind ideale Angriffspunkte für präzise Therapien. Bisher war jedoch unklar, ob solche Effektoren bei allen Komplexen von MLL-Fusionsproteinen vorkommen.
Die Forschungsgruppe von Florian Grebien vom Ludwig Boltzmann Institut für Krebsforschung (LBI CR), Giulio Superti-Furga, Wissenschaftlicher Direktor des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und Johannes Zuber vom Institut für Molekulare Pathologie, haben in ihrer neuesten Studie diese Frage beantwortet. Indem sie die Interaktions-Netzwerke von MLL-Fusions-Komplexen untersuchten, gelang es ihnen, gemeinsame molekulare Mechanismen nachzuweisen, die für die Krebsentstehung ausschlaggebend sind. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht (DOI: 10.1038/s41467-018-04329-y).
Für ihre Studie charakterisierten die WissenschaftlerInnen, mit CeMM PhD-Studentin Anna Skucha als Erstautorin, die gesamten Proteinkomplexe von sieben verschiedenen MLL-Fusionsproteinen im Detail. Dabei stellte sich heraus, dass 128 Proteine allen Komplexen gemein waren. In weiteren Experimenten, die in Kollaboration mit dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie und der Medizinischen Universität Wien durchgeführt wurden, konnten die WissenschaftlerInnen schließlich ein Protein als kritischen Effektor identifizieren: Die Methyltransferase SETD2. Durch moderne genomische Techniken wie CRISPR/Cas9-vermittelte Genom-Editierung wiesen die ForscherInnen nach, dass das Ausschalten von SETD2 zur Anhäufung von DNA-Schäden und schließlich zum Tod der AML-Zellen führte. Darüber hinaus machte der Verlust von SETD2 die Krebszellen äußerst empfindlich auf Pinometostat, ein Wirkstoff der sich derzeit in der klinischen Entwicklungsphase für eine Therapie gegen Leukämiepatienten mit MLL-Fusionen befindet. Diese Experimente könnten den Weg zu einer effektiveren Therapie durch eine Kombination verschiedener Präparate ebnen.
„Die Daten zeigen, wie effektiv die Kombination aus genomischen und proteomischen Analysen ist, um Effektoren, die in der Entwicklung von AML eine Rolle spielen, zu entdecken“, erklärt Florian Grebien, einer der Letztautoren der Studie. „Unsere Ergebnisse haben eine neue Rolle von SETD2 aufgeklärt: Es ist entscheidend für die genomische Stabilität während der Entstehung und dem Fortschreiten von AML mit MLL-Fusionsproteinen. Die Studie hilft bei der Aufklärung der molekularen Mechanismen dieser aggressiven Krebserkrankung und wird hoffentlich in Zukunft auch zu einer effektiveren Therapie beitragen.“
Über das CeMM
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at