Vor mittlerweile zwanzig Jahren wurde der Proteinkomplex Cohesin am IMP erstmals beschrieben. Christine Michaelis, eine Mitarbeiterin von Kim Nasmyth, entdeckte den Proteinkomplex in Hefezellen und konnte zeigen, dass er für eine korrekte Zellteilung unerlässlich ist. Drei Jahre später wies Izabela Sumara im Team von Jan-Michael Peters nach, dass menschliche Zellen zwei unterschiedliche Formen von Cohesin besitzen, die als STAG1 und STAG2 bezeichnet werden. Die beiden Isoformen haben offenbar sehr ähnliche Funktionen; fehlt eine von beiden, so läuft die Zellteilung dennoch reibungslos ab. Ist jedoch eine Cohesin-Variante durch Mutation beschädigt, führt die Blockade der anderen Form zu fatalen Fehlern bei der Teilung und damit zum Zelltod.
Schwachstelle, die therapeutisch genutzt werden könnte
Aus neueren Untersuchungen weiß man, dass Krebszellen häufig Mutationen des STAG2-Gens tragen - bis zu 26 Prozent etwa bei Blasenkrebs, bis zu 22 Prozent beim Ewing-Sarkom, einem seltenen aber bösartigen Knochentumor des Kindesalters. Der Zusammenhang zwischen dem mutierten Cohesin-Gen und der Krebsentstehung ist noch nicht geklärt. Forscher am IMP und am Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (BI RCV) vermuteten jedoch, dass die Mutation bei diesen Tumortypen eine spezifische Schwachstelle darstellt, die man therapeutisch nutzen könnte. Ließen sich Gene finden, deren Blockade Zellen mit der STAG2-Mutation absterben lässt, so könnte man den Tumor attackieren ohne die gesunden Zellen zu gefährden.
Veröffentlichung im Online-Journal e-life
Um solche Gene in einem Screening zu identifizieren, wurde ein gemeinsames Projekt initiiert, dessen Leiter Mark Petronczki während seines Doktorats und als Postdoc am IMP geforscht hatte und nun mehrere Laboratorien mit dem Fokus "Cancer Cell Signaling" am BI RCV leitet. Neben Boehringer Ingelheim RCV und den Labors von Jan-Michael Peters und Johannes Zuber am IMP waren auch Wissenschafter des CNIO in Madrid, der Georgetown University in Washington und der St. Anna Kinderkrebsforschung in Wien an der Studie beteiligt. Die vielversprechenden Ergebnisse wurden am 10. Juli im Online-Journal eLife (link is external) veröffentlicht.
Die Erstautorinnen Petra van der Lelij und Simone Lieb beschreiben in ihrer Arbeit, dass die Inaktivierung von STAG1 zum Tod von Zellen mit einer STAG2-Mutation führt, gesunde Zellen jedoch verschont. In den Tumorzellen, die die STAG2-Mutation tragen, führt der zusätzliche Ausfall von STAG1 offenbar dazu, dass Cohesin seine wichtige Funktion bei der Zellteilung nicht mehr übernehmen kann. Die normalerweise präzise getaktete Teilung entgleist damit völlig, was die Zellen nicht überleben.
An Zelllinien, die aus Blasenkrebs-Gewebe und von Ewing-Sarkom Patienten stammen, waren die Versuche ebenfalls erfolgreich: Tumorzellen mit der STAG2-Mutation starben durch Blockade von STAG1 ab, solche ohne Mutation überlebten. Das Konzept, für das die Bezeichnung "Synthetische Letalität" geprägt wurde, eröffnet somit neue Angriffspunkte für eine gezielte Krebstherapie, die wirksam und gleichzeitig sicher sein könnte.
Medikament könnte rund einer halben Million Krebspatienten weltweit zugutekommen
Ein Medikament, das STAG1 hemmt, könnte den weltweit rund eine halbe Million Krebspatienten zugutekommen, die an Tumoren mit der STAG2-Mutation leiden. Um einen solchen Inhibitor zu entwickeln, müssen nun im nächsten Schritt geeignete Angriffspunkte für therapeutische Moleküle definiert werden.
„Die Arbeit an diesem Projekt war besonders befriedigend“, sagt Petra van der Lelij, die als gemeinsame Postdoktorandin von Boehringer Ingelheim und dem IMP an der Studie arbeitete. "Ich habe das Gefühl, damit entscheidend zum Wohl der Patienten beitragen zu können. Die Forschungs-Expertise am IMP, kombiniert mit den Möglichkeiten und Erfahrungen von Boehringer Ingelheim, ergaben die perfekte Kollaboration!"
Link Zur Publikation: https://elifesciences.org/articles/26980
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