„Wer die Qualität unseres Gesundheitssystems ausschließlich mit den Regeln des Wettbewerbs misst, der spielt mit der Gesundheit, im schlimmsten Falle sogar mit dem Leben von Patienten“, erklärt die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr und rückt damit das Ergebnis einer Branchenuntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zum Thema „Wettbewerbspotential im Apothekenmarkt“ ins richtige Licht. In der Untersuchung ist von „positiven Auswirkungen für die Konsumenten“ im Falle einer freien Apothekenniederlassung die Rede. Dabei seien eine „Steigerung der Zahl der Apotheken“ sowie ein „besserer Zugang zu Arzneimitteln für Konsumenten“ zu erwarten.
Dieser Prognose tritt Mursch-Edlmayr vehement entgegen. „Es ist ein Faktum, dass unkontrollierte Apothekenniederlassung die ausgewogene Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln negativ beeinträchtigt.“
„Als Beispiel dient Deutschland“, ergänzt Mag. pharm. Christian Wurstbauer, selbständiger Apotheker und Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer. „Dort führte die freie Niederlassung zu einer Konzentration von Apotheken in hochfrequenten Lagen, wie etwa in der Innenstadt oder in Einkaufszentren. Die Anzahl der ‚Versorgungsapotheken‘ im ländlichen Raum ist zurückgegangen und hinterlässt riesige Lücken in der flächendeckenden, wohnortnahen Arzneimittelversorgung in Deutschland. Es ist auch absurd, versorgungsorientierte Apothekenunternehmen als ineffizient zu bezeichnen. Das beweist die Kurzsichtigkeit der Wettbewerbsbehörde bei ihrer einseitigen Betrachtung des österreichischen Apothekensystems“, so Wurstbauer.
„Die Erwartungen, die an eine Liberalisierung im Apothekenwesen geknüpft werden – insbesondere ein besserer Zugang zu Medikamenten und niedrige Preise von rezeptfreien Arzneimitteln – werden, wie internationale Studien belegen, nicht erfüllt“, betont Mursch-Edlmayr.
„Auch die Annahme, dass mehr Wettbewerb zu besserer Beratung führt, ist nicht nur naiv, sondern einfach falsch. Mehr Wettbewerbsdruck zwingt die Apothekenunternehmen, Fachpersonal einzusparen und darüber hinaus den Verkauf über die Beratung zu stellen. Das kennen wir aus anderen Branchen“, ergänzt Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer und Chef der Angestelltenvertretung VAAÖ, Mag. pharm. Raimund Podroschko.
„BWB-Generaldirektor Dr. Theo Thanner fordert die freie Apothekenniederlassung. Das zeigt, dass er die gesundheitspolitischen Funktionen und Ziele der bedarfsgerechten Apothekenverteilung in Österreich nicht genügend berücksichtigt. Sie zielt darauf ab, eine geographisch ausgeglichene, wohnortnahe und flächendeckende Medikamentenversorgung durch Apotheken sicherzustellen“, so Wurstbauer weiter.
„Eine europäische Vergleichsstudie von Apothekensystemen in deregulierten Ländern wie England, Irland, den Niederlanden, Norwegen sowie Schweden und regulierten Ländern, darunter Dänemark, Finnland, Spanien und Österreich zeigt, dass sich Liberalisierung nicht positiv auf die bessere Versorgung auswirkt“, gibt Podroschko zu bedenken.
Wurstbauer ergänzt: „Die gegenteilige Aussage der BWB ohne konkrete Nennung der Quelle ist unprofessionell und irreführend. Wie wurde da recherchiert?“, fragt der Vizepräsident bezugnehmend auf die oberflächlichen Aussagen der Branchenuntersuchung. Auch öffne die in dem Bericht empfohlene Deregulierung des Apothekenmarktes der Machtkonzentration durch einige wenige Akteure Tür und Tor.
„In der von der BWB als ideal skizzierten Wettbewerbssituation werden Apotheken keine betriebswirtschaftlich unrentablen, aber für die Patienten wichtigen Dienstleistungen erbringen können. Diese vom Gesundheitssystem übertragenen Verpflichtungen nehmen jedoch weiter zu. Ich nenne nur die Stichworte Betriebspflicht, Bereitschaftsdienst und Mitwirkung an der Drogenersatztherapie“, so Podroschko. Keine der Erwartungen, die in dem von der Bundeswettbewerbsbehörde vorgelegten Papier an eine Liberalisierung im Apothekenwesen geknüpft werden – insbesondere ein besserer Zugang zu Medikamenten und niedrigere Preise von rezeptfreien Arzneimitteln – würde im Falle einer Realisierung erfüllt werden, gibt der Vizepräsident zu bedenken.
Präsidentin Mursch-Edlmayr ist enttäuscht: „Die Branchenuntersuchung stellt ausschließlich auf kommerzielle Faktoren ab, lässt das Wichtigste aber vollkommen außer Acht: Und das sind die Therapiesicherheit und die Gesundheit der Menschen.“