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LISA VR fördert Dialog zwischen Technologieförderung und Gesundheitssektor

(C) Florian Stecher v.l.n.r. Beate Hartinger, Hans-Georg Eichler, Andrea Rappagliosi,
Sonja Hammerschmid, Claudia Wild, Rodger Novak, Barbara Valenta, Michaela Fritz, Oliver Lehmann, Eva Czernohorszky Gestern Abend diskutierten hochkarätige ExpertInnen im Wiener MARX Media Quarter über "Linking Biotech and Health Care Policy". Thematisiert wurde das Spannungsfeld Technologiepolitik und Gesundheitspolitik: Einerseits unterstützen europäische, nationale und regionale Initiativen der Technologiepolitik Life Science Start-ups und deren Produktentwicklungen. Andererseits gibt es gut begründete Einsparungsbestrebungen in der Gesundheitspolitik, natürlich mit dem Ziel, eine optimale, leistbare Versorgung der PatientInnen zu ermöglichen. 160 TeilnehmerInnen aus Biotech und Pharma zeugten vom großen Interesse an dieser spannenden Thematik.

LISA Vienna Region wurde vor 5 Jahren von der Austria Wirtschaftsservice und dem Zentrum für Innovation und Technologie der Stadt Wien gegründet. Ziel war damals wie heute das wirtschaftliche Potenzial der Life Sciences in der Region Wien, der größten österreichischen Life Sciences Region, zu fördern und besonders die jungen Unternehmen gemeinsam zu betreuen. Neben der Beratung über Förderung, Gründung und Ansiedlung und der internationalen Vermarktung des Standortes sowie den fachspezifischen Seminaren und Lehrveranstaltungen ist es LISA VR ein großes Anliegen, Networking in der Life Sciences Szene zu stimulieren. „Mit unserem Sommerfest und dem Life Science Circle haben wir Veranstaltungsformate entwickelt, mit denen Lehre, Forschung, Unternehmer, Förderer und Kapitalgeber einen Rahmen finden um sich auszutauschen. Beim Life Science Circle steht neben Networking die Diskussion aktueller Themen im Vordergrund.“, kommentiert Michaela Fritz, Geschäftsführerin von Life Science Austria Vienna Region (LISA VR). Ko-Geschäftsführerin Eva Czernohorszky ergänzt: „Allein unsere Eigentümer haben über die Jahre mehr als 100 Millionen Euro in die Life Sciences investiert. Wir können uns inzwischen gemeinsam mit unseren Unternehmen über weithin sichtbare Finanzierungserfolge und immer mehr Arzneimittelkandidaten freuen, die in die Phase der klinischen Entwicklung eintreten.“ Damit ist auch die Frage verbunden, wie man Technologiepolitik auf der einen Seite und Gesundheitspolitik auf der anderen besser vernetzen kann, da der Gesundheitssektor schlussendlich Abnehmer der Entwicklungen ist. Mit dieser Veranstaltung will LISA VR genau dazu einen Anstoß geben.

TRENDS IN EUROPA UND DIE POSITIONEN EINZELNER STAKEHOLDER

Andrea Rappagliosi, EuropaBio, stellte im Rahmen seiner Keynote Lecture Ansatzpunkte für die Verbindung von Technologieförderung und dem Gesundheitsbereich auf europäischer Ebene vor. In der darauf folgenden Podiumsdiskussion wurden die kritischen Schritte innovativer Arzneimittel "made in Vienna" auf dem Weg zum Europäischen Markt diskutiert. Am Podium vertreten waren Hans-Georg Eichler (European Medicines Agency), Sonja Hammerschmid (Austria Wirtschaftsservice GmbH), Beate Hartinger (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger), Rodger Novak (Nabriva Therapeutics GmbH), Barbara Valenta (Baxter Bioscience AG) und Claudia Wild (Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment). Oliver Lehmann moderierte.
Keynote lecture: Die europäische Dimension aus Pharma und Biotech Blickwinkel

Obwohl Gesundheitsfinanzierung eine nationale Angelegenheit ist, ist das Spannungsfeld, das der diesjährige LISA VR Life Science Circle thematisierte, sehr wohl ein internationales Thema. Andrea Rappagliosi ging als Vertreter des Europäischen Biotech-Industrieverbands EuropaBio auf die Situation in Europa ein. Er stellte auch Ansatzpunkte vor, die seiner Ansicht nach der Verbindung von Technologie- und Innovationsförderung und dem Gesundheitsbereich dienlich sein könnten. Insgesamt handelt es sich bei der Schnittstelle Technologie – Gesundheit aus seiner Sicht um ein konfliktgeladenes Thema, dem ein intensiverer Dialog der verschiedenen Stakeholder gut tun würde. Die Herausforderungen sind multipel.

Rappagliosi fasste zusammen, dass derzeit in Europa große gesellschaftliche Wandlungsprozesse ablaufen, wie etwa die demographischen Veränderungen: Wir Menschen werden im Durchschnitt immer älter und das wirkt sich auf die Gesundheitsbudgets aus. Die Anforderungen an Gesundheitsversorgung steigen quantitativ und qualitativ rascher als die Regierungen damit umgehen können. Auch die Kosten für die Arzneimittelentwicklung steigen und damit die der neuen Medikamente. Laut Rappagliosi stammen inzwischen 20 % der heutigen Arzneimittel und 50 % der Produkte in der Pipeline aus der Biotechnologie. Die Wertschöpfungskette hat sich dabei im letzten Jahrzehnt internationalisiert. Im Vergleich zu den USA hat Europa mit seinen vielen Nationalstaaten einen fragmentierten Markt und dadurch Wettbewerbsnachteile. Außerdem steht noch die Forderung der EU im Raum, dass die 27 EU Mitgliedsstaaten ihre Budgets unter Kontrolle halten müssen. Nicht aus den Augen verlieren darf man, so Rappagliosi, auch die langen Entwicklungsdauern. Forschung und Entwicklung braucht viel Zeit. Das nötige politische Committment muss über die Länge einer Legislaturperiode weit hinausgehen. Aufgrund seines Eindrucks, dass Politik immer mehr dem Glauben verfällt, in kürzester Zeit etwas Herzeigbares hervorbringen zu müssen, stellt sich die Frage, wie nachhaltige Lösungen für die zukünftige Praxis entwickelt werden können. Dafür braucht es nach Rappagliosi mehr Wissen über die medizinische, soziale, ökonomische und ethische Dimension des Werts innovativer Behandlungsansätze und Zeit für die Integration der verschiedenen Wissensbestände. Pharma und Biotech Industrie nur als Kostengenerator im Gesundheitswesen zu verstehen geht an den Realitäten vorbei und erschwert den Einstieg in einen konstruktiven Dialog.

Die Europäische Kommission bekennt sich zu den Life Sciences, zu Biotech, in einer Vielzahl an strategischen Papieren und auch in Förderprogrammen, aber das ist nicht die Lösung des Problems, um das es hier geht. Intensiverer Austausch zwischen Zulassungs- und Erstattungsbehörden, Ärzten, Industrie, Forschung und den weiteren relevanten Akteuren spielt nach Rappagliosi eine wesentliche Schlüsselrolle. Das bedeutet auch, sich im Detail mit den Erwartungen und Bedürfnissen der verschiedenen Player auseinandersetzen und erfordert diesbezüglich viel Transparenz. Auf diese Weise kann sich der Rahmen des Denkbaren und damit auch des Machbaren erweitern.

Auf der europäischen Ebene hat die Diskussion bereits begonnen. Nachhaltige, praxistaugliche Lösungen für die Verknüpfung von Technologie- und Gesundheitsagenden zu finden wäre aber vergleichbar mit jenen Leistungen, die es braucht um einen Nobelpreis verliehen zu bekommen, findet Andrea Rappagliosi.
Forschung und Entwicklung als Problemlöser im Gesundheitssektor

Sonja Hammerschmid, Leiterin des Bereichs Technologie & Innovation in der austria wirtschaftsservice, der österreichischen Förderbank für unternehmensbezogene Wirtschaftsförderung: „Mit Förderprogrammen wie LISA unterstützen wir seit 1999 besonders innovative Biotech Unternehmen. Anschubfinanzierung mit öffentlichen Mitteln dient vielfach der Entwicklung innovativer Medikamente und Impfstoffe.“ Die Herausforderung für neue Jungunternehmen, die aus dem universitären Bereich kommen und ins drug development einsteigen wollen, sieht Hammerschmid in drei großen Bereichen: Zum einen gilt es, hunderte Millionen Euro an privater Finanzierung für die langwierige und kostenintensive Arzneimittelentwicklung aufzutreiben. Die zweite Herausforderung ist, schon ganz am Beginn das erforderliche Know-how zu Präklinik und Klinik ins Unternehmen zu transferieren. Das ist ihrer Ansicht nach in der Start-Phase eines Biotech Unternehmens eine enorme Herausforderung, da die vorhandenen finanziellen Mittel in der Regel gering sind. Und last but nut least stehen die Unternehmen vor der großen Aufgabe, mit ihren Arzneimitteln am internationalen Gesundheitsmarkt zu reüssieren. „Forschung und Entwicklung werden zwar auf der politischen Ebene als besonders wichtige Problemlöser gehandelt, aber an der dazu passenden Gesundheitspolitik fehlt es noch. Wir sind an einem guten Miteinander interessiert.“, so Sonja Hammerschmid. Die promovierte Molekularbiologin verfügt über umfangreiche Erfahrung im Pharma- und KMU-Bereich. Ab 1999 baute sie das Impulsprogramm Biotechnologie und in Folge Life Science Austria auf. Bis 2006 war sie zudem Geschäftsführerin von LISA Vienna Region, sie ist jetzt im ARGE-Rat vertreten.
Little Biotech: Präklinik und Klinik Know-how, gute ManagerInnen, schnelle Entscheidungen und Geld sind gefragt

Im Unterschied zu big pharma haben kleine Biotechs eine wesentlich dünnere Produkt-Pipeline und sind daher anfälliger wenn ein Produktkandidat ausfällt. Entscheidungen, ein Entwicklungsprogramm aufzugeben, müssen entsprechend schnell gefällt werden. Für die wirtschaftliche Umsetzung von Forschungsergebnissen braucht es entsprechende Manpower. Das Biotech Umfeld bietet ihren MitarbeiterInnen ganz andere Möglichkeiten als Pharma, aber das nötige Know-how ins Unternehmen zu bekommen ist nicht einfach, findet Rodger Novak von Nabriva Therapeutics. Aus seiner Sicht reicht es nicht mehr, LaborwissenschaftlerInnen aus der Universität heraus zu rekrutieren, sondern es sind Leute gefragt, die sich auch in der präklinischen und klinischen Entwicklung auskennen.

„Vergleicht man Start-ups, die aus den Universitäten kommen mit Unternehmens-Spin-offs so sehen wir in Kommunikation mit internationalen Kollegen, dass bei akademischen Start-ups die Gründer nicht immer die besten Manager sind. Der erste Schritt aus der Universität läuft zwar oft recht gut. Finanzierungen treffen ein, aber dann wenn es zum nächsten Schritt kommt, wenn man eine Kapitalerhöhung anstrebt oder big pharma für die eigenen Produkte interessieren möchte, dann sind die Leute, die das Unternehmen auf die Beine gestellt haben, oft nicht mehr die, die das am besten können. Hier sehen wir schon ein Problem, weil sehr interessante Produktkandidaten Gefahr laufen, nicht in weitere Phasen der klinischen Entwicklung und damit nicht auf den Markt kommen.“, so Rodger Novak. Er ist Geschäftsführer und Chief Operating Officer des Wiener Biotech Unternehmens Nabriva Therapeutics und leitete den mit über 42 Millionen Euro finanzierten Ausgründungsprozess aus dem Novartis Konzern im Jahr 2006. Seiner Aussage nach ist der US Markt für kleinere Biotech Unternehmen entscheidend. Nabriva’s Strategie sieht jedenfalls vor, Zulassungen zuerst für den amerikanischen Markt zu erlangen. Dort gäbe es auch klarere Guidelines als in Europa, eine bessere Begleitung des Zulassungsprozesses durch die Behörden und – einen großen, nicht fragmentierten Markt. Eine Verbesserung des Abgleichs zwischen der amerikanischen und der europäischen Zulassungsbehörde sollte aus seiner Sicht dringend angestrebt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken.
Zentrale Zulassung bei der EMEA soll Innovation fördern

Innovative Arzneimittel unterliegen dem zentralen Zulassungsprozedere der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA. Hans-Georg Eichler, seit Februar 2007 Senior Medical Officer bei der EMEA und davor Vizerektor für Forschung und Internationale Beziehungen an der Medizinischen Universität Wien über dieses Prozedere: „Das zentrale Zulassungsprozedere für innovative Arzneimittel bei der EMEA entstand aus dem Wunsch, Innovation zu fördern. Der Grundgedanke war: Ein Zulassungsverfahren, eine Behörde und somit einen Zugang zu 500 Millionen Europäern. Das gilt für die Zulassung nun tatsächlich, nicht jedoch für Arzneimittelerstattung, die nach wie vor in den nationalen Zuständigkeitsbereich fällt. Wir achten bei der Prüfung zur Zulassung auf Quality, Safety and Efficacy. Finanzierbarkeit ist kein Kriterium bei der EMEA, das ist zwar oft zu hören, gehört aber ins Reich der Gerüchte. Laut Gesetz dürfen wir keine ökonomischen Gesichtspunkte einbeziehen und das tun wir auch nicht.“ Von hundert Anträgen zu pharmazeutischen Substanzen, die bei der EMEA einlangen, werden 25 nicht positiv erledigt, das heißt zurückgezogen oder mit einem negativen Bescheid abgelehnt. Der kleinere Teil der Ablehnungen beruht darauf, dass am Ende der Arzneimittelentwicklung einfach Nebenwirkungen auftreten, die nicht vorhersehbar waren oder, dass sich die Wirkung nicht so einstellt wie erhofft. Negative Bescheide sind laut Eichler in vielen Fällen selbstverschuldet: Entweder ein Produkt wurde zu Tode entwickelt, oder die Anforderungen der Behörden wurden nicht ausreichend berücksichtigt.
Sozialversicherungen als Abnehmer im Gesundheitswesen

Sozialversicherungen sind neben den Spitälern die wichtigsten Abnehmer für Arzneimittel in Österreich. Auf die Frage, welche Rolle Innovation einerseits und der Entwicklungs- und Produktionsort andererseits bei der Erstattung von Arzneimittel spielt, hält Beate Hartinger vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger folgendes fest: "Der Innovationsgrad ist ein wesentliches Prüfkriterium bei der Frage, ob eine Arzneispezialität in den Erstattungskodex aufgenommen wird oder nicht. Es wird dabei zwischen acht verschiedenen Innovationsgraden unterschieden. Da wir unsere Versicherten mit den bestmöglichen Produkten versorgt wissen wollen, kommt es zu keiner differenzierten Erstattung abhängig von den jeweiligen Herstellungsorten der Arzneispezialitäten. Zwingende Voraussetzung für die Aufnahme in den Erstattungskodex ist jedoch, dass die Arzneispezialität in Österreich als solche zugelassen ist." Sie betont, dass der primäre Orientierungspunkt der Sozialversicherungen der Einkauf der besten Leistungen für die Versicherten ist, genau genommen beste Qualität zum besten Preis. Die Beurteilung scheint relativ komplex abzulaufen – Health Technology Assessment ist dabei ein Thema, ebenso ökonomische Studien, die vor allem auch bewerten, welchen Nutzen es für den Patienten gibt. Abhängig vom Grad der Innovation wird dann noch der volkswirtschaftliche Nutzen bewertet. „Wir leben in Österreich in einem Land mit Sozialversicherungen, die die innovativsten Medikamente rasch zulassen. Das hat vor 14 Tagen eine Studie ergeben, wo Österreich die Goldmedaille bekommen hat. Eine unabhängige europäische Institution hat das auf Basis der Prüfung von Kriterien wie Wartezeiten, ärztliche Betreuung, Geschwindigkeit der Zulassung innovativer Präparate usw. festgestellt.“, so Hartinger stolz. Technologie- oder Wirtschaftsförderung stehen nicht auf ihrer Agenda. Das Wettbewerbsrecht der EU verbietet außerdem, regionale Hersteller zu bevorzugen. Auf die Frage nach den Aussichten auf Harmonisierung der Abnehmer im Gesundheitswesen in den 27 EU-Mitgliedsländern meinte Hartinger, dass das derzeit nicht einmal ernsthaft diskutiert wird. Die Systeme in den verschiedenen Nationen sind so verschieden, dass sie nicht glaubt, dass eine Harmonisierung in absehbarer Zeit realisiert werden kann. Hartinger kann sich auch nicht vorstellen, dass sich die Politik in den nächsten Jahren entscheiden wird, diese Diskussion überhaupt voranzutreiben. Beate Hartinger ist als Generaldirektor-Stellvertreterin im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger seit 2005 auch für Ärzte- und Medikamentenangelegenheiten zuständig.
Health Technology Assessment als Ansatz zum Hinterfragen

Claudia Wild vom Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (HTA) erklärt, dass HTA bereits seit 25 Jahren existiert. Was zunächst als akademisches Spiel belächelt wurde wird seit fünf Jahren sehr ernst genommen. Bei HTA geht es um wissenschaftliche Politikberatung, wo beispielsweise mit Szenarien auf Basis gewisser Zukunftsannahmen gearbeitet wird. Im Fokus steht dabei Gesundheitspolitik, nicht Technologiepolitik oder Wirtschaftspolitik. „Wir schauen uns sehr kritisch an, ob es für die Dinge, die am Markt sind und die, die ins Gesundheitswesen hinein wollen, entsprechende Wirkungsnachweise gibt. Wir prüfen, für welche Patientengruppe und für welche Indikationsgruppe es einen Wirksamkeitsnachweis gibt, mit welchen Kosten beispielsweise Arzneimittel verbunden sind und welche Alternativen es gibt.“, so Claudia Wild, die unter anderem auch Handlungsempfehlungen hinsichtlich Erstattung für den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger erarbeitet. Weil das Forschungsfeld benennt, was man aus ihrer Sicht wissen sollte, bevor man eine Investitionsentscheidung im Gesundheitssystem trifft, sei ihr Feld auch recht konfliktreich. Zentrale Fragen bei HTA sind, ob der Patient einen konkreten, nachweisbaren Nutzen einer Behandlung hat, ob es Bedarf für ein neues Produkt gibt oder ob dieser erst vom Hersteller kreiert wird, ob es bereits ausgereifte gold standards gibt oder ob ähnliche Produkte zu günstigeren Kosten vorhanden sind. Der relativ inflationäre Gebrauch des Wortes Innovation ist ihr ein Dorn im Auge und die Aura des permanenten Fortschritts, in der die Biotech Branche lebt, ist aus ihrer Sicht zu hinterfragen. Claudia Wild über Märkte und Patientennutzen: „Mein Eindruck ist, dass einige Märkte eindeutig gesättigt sind, bei anderen Märkten bedarf es der Politik zuzuarbeiten, und zu definieren, was Patientennutzen ist, wie viel Nutzen eigentlich genug ist und wie viel Geld man für einen gewissen Nutzen ausgeben will. Da braucht die Politik unbedingt Unterstützung. Wir geben diese Unterstützung, aber die Entscheidung, wie viel Nutzen genug ist, das ist eine gesellschaftspolitische Frage. Wie viel Geld geben wir zum Beispiel zusätzlich aus, um einen verhältnismäßig kleinen Nutzen einzukaufen.“
Claudia Wild leitet seit 2006 das Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Politikwissenschaft und Forschungsarbeiten zu medienwirkungsspezifischen und medienpolitischen Fragestellungen baute sie das Thema Health Technology Assessment in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf.
Pharma-Kooperationen, Entwicklungstrends und unklare Rahmenbedingungen

Barbara Valenta von Baxter erklärt, dass der Grundstein für die spätere Entwicklung eines Biologicals oft im akademischen Bereich oder bei Start-ups und Spin-offs gelegt wird. Für die weiterführende Entwicklung wird häufig eine Zusammenarbeit mit 'big' pharma gesucht. Sie schätzt die Erwartungen hinsichtlich früher Kooperationen mit pharma als zu hoch ein. Gleichzeitig werden ihrer Erfahrung nach Kooperationen häufig dadurch erschwert, dass in den ersten Entwicklungsschritten die Erfordernisse des drug developments (z.B. Tiermodelle, regulatorische Anforderungen) nicht ausreichend beachtet wurden. Große Unternehmen funktionieren in vielen Bereichen anders als kleine flexible Firmen; es geht nicht nur um Produktentwicklung sondern auch zb um Bewertung der Produktion, Marketingmöglichkeiten und Vertrieb. Außerdem kann geringere Flexibilität kombiniert mit großen Ressourcen im Pharma Bereich gelegentlich eine geringere 'Risikobereitschaft' auch im F&E Bereich bewirken als vergleichsweise in Start-ups. Valenta streicht weiters hervor, dass auch deutlich zwischen Unternehmen zu unterscheiden ist, die Biotech-drugs herstellen wie Baxter, oder jenen, die mit small molecule Wirkstoffe arbeiten. Ein kritischer Punkt bei der Produktentwicklung sind weiters die zum Teil ungeklärten regulatorischen Rahmenbedingungen beispielsweise für gen- oder zelltherapeutische Ansätze: „Im Biotech Bereich sind wir oft den Regularien voraus. Das macht es schwierig, drug development aufzubauen und ist mit einem sehr hohen Risiko verknüpft. Für kleine und für große Unternehmen. Arzneimittelentwicklung läuft über viele Jahre und selbst wenn ich heute Scientific Adivice bei der Zulassungsbehörde einhole liegt im Dunkeln, was passiert, wenn ich in sechs, sieben Jahren wieder vor der Behörde stehe und eine Zulassung beantrage.“ Sie stimmt Mag Hartinger zu, dass eine besondere Herausforderung in der Verbesserung der Compliance der PatientInnen liegt. Ob aus der Apotheke abgeholte Medikamente tatsächlich eingenommen bzw. richtig angewendet werden ist auch eine Frage, auf die es erstens wenige und zweitens leider auch durchaus beunruhigende Antworten gibt. Eine Verbesserung dieser Situation könnte durch noch engere Zusammenarbeit von ÄrztInnen und PatientInnen und Intensivierung der Informationen an die Zielgruppen erfolgen.
„Arzneimittel für seltene Erkrankungen könnten interessante Nischen für kleine Biotech-Unternehmen bieten. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist davon auszugehen, dass Demenzerkrankungen oder Erkrankungen des Bewegungsapparats weiter an Bedeutung im Pharma und Biotech Bereich gewinnen.“, meint Barbara Valenta auf die Frage nach Zukunftstrends.
Valenta gehört seit 2007 als Medical Director Technical Assessment dem Global Clinical Research und Development Team der Baxter AG an. Sie ist außerdem stellvertretende Leiterin des Arbeitskreises Pharmakovigilanz des Branchenverbandes Pharmig sowie Stellvertreterin der Wirtschaftskammer in der Heilmittelevaluierungskommission des Hauptverbandes der Sozialversicherungen.
Zusammenfassung aus Sicht der Technologieförderung

Sonja Hammerschmid, Leiterin des Bereichs Technologie & Innovation in der austria wirtschaftsservice: „Junge Wiener Unternehmen sind nach einer Anschubfinanzierung au der öffentlichen Hand recht erfolgreich darin, die privaten Mittel einzuwerben, die es für die langwierige und kostenintensive Arzneimittelentwicklung braucht. Das zeigen Beispiele wie die börsennotierte Intercell, Affiris, Austrianova, Fibrex Medical, Nabriva oder die kürzlich mit 6 Mio. Euro Venture Capital finanzierte f-star.“ Erst dadurch ist es diesen Unternehmen möglich, in aufwändigen klinischen Studien die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Arzneimittel zu demonstrieren. Immer mehr Arzneimittelkandidaten der in den vergangenen fünf bis zehn Jahren gegründeten Wiener Biotech Unternehmen schaffen den Schritt in die Phase der klinischen Prüfung. Um sicherstellen zu können, dass alle Voraussetzungen für die zentrale Arzneimittelzulassung durch die Europäische Zulassungsbehörde EMEA (European Medicines Agency) ordnungsgemäß erfüllt sind, bedarf es ausreichender Kapazitäten für professionelles Agieren und den Zukauf von Know-how. Der Gesundheitsbereich als Markt für Arzneimittel ist ein internationaler, großer Markt. „Uns Technologieförderern ist es ein Anliegen, dass die von uns geförderten Hochtechnologie-Unternehmen Erfolg am Markt haben. Dafür braucht es schon zu Beginn eines Entwicklungsprojekts nicht nur das entsprechende technologische und klinische Know-how, sondern auch ein Gespür für Marktlücken.“, hält Sonja Hammerschmid fest. Vortrag und Podiumsdiskussion haben gestern verdeutlicht, dass es in Europa und so auch in Österreich auf der politischen Ebene kaum Verbindungen zwischen Technologieförderung und Gesundheitsfinanzierung gibt. Hammerschmid dazu: „Dass das aktuell nicht ausreichend passiert lässt sich am Beispiel eines Diagnostik-Produkts aus Wien erkennen, das eine hohe Exportquote nach Italien und Spanien aufweist, weil das Diagnostikum dort im Gegensatz zu Österreich von den Kassen erstattet wird.“ Mehr Interaktion zwischen dem Technologie- und Gesundheitsbereich wären auch deswegen interessant, weil öffentliche Nachfrage in diesem Sektor trotz des Diktats der Kostenreduktion ein interessanter Motor für innovative Ideen sein könnte. Arzneimittelentwicklung, Technologiebewertung, Finanzierung, Biotech, Pharma, Erstattung etc. bewegen sich jedenfalls in einem hoch komplexen Spannungsfeld, das zwischen Technologiepolitik, Gesundheitspolitik und weiteren Politikbereichen besteht. „Zu überlegen, welches Maß an Interessensausgleich zwischen diesen Kräftefeldern zielführend ist, stellt eine Herausforderung für die Zukunft dar. Aber hier ist die Politik gefordert, aktiv zu werden. Das ist ein Dialog, der jetzt begonnen werden muss“, so das Fazit von Sonja Hammerschmid.
Life Sciences in Wien und der österreichische Gesundheitssektor

Die Life Sciences bilden ein klares Stärkefeld der Wiener Forschungs- und Technologielandschaft. Laut einer Studie aus 2006 beschäftigen im Raum Wien etwa 170 Unternehmen 11.000 MitarbeiterInnen auf diesem Gebiet. Dazu kommen rund 4.300 ForscherInnen an fünf Universitäten. Inhaltlich gesehen dominieren dabei der Bereich der medizinischen Biotechnologie und der Pharma-Bereich.

Der Gesundheitsbereich als Markt für Arzneimittel ist ein stark reglementierter, international gesehen auch stark fragmentierter und ausgesprochen großer Markt. Allein in Österreich wurden 2005 ca. EUR 25 Mrd. für den Gesundheitsbereich ausgegeben, das entspricht über 10 % des BIP. Was die Finanzierung dieser enormen Summe betrifft so stammt der Großteil aus dem Sozialversicherungssystem und von Bund, Ländern und lokalen Akteuren. Knapp 14% der gesamten Gesundheitsausgaben entfielen 2004 auf Arzneimittel, der große Rest ging vor allem in die stationäre Versorgung (rund 39%) oder wurde für ambulante Leistungen (rund 23%) aufgewendet.

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