TU Wien: COVID-19: Die Gefahr einer zweiten Welle ist nicht gebannt

Modellrechnungen zeigen, worauf es nun ankommt: Intensives testen, schnelles Contact-Tracing und Containment sind nötig, um trotz Lockerungen eine zweite Welle zu vermeiden.

Es gibt Grund für Optimismus: Die Zahl der neu bestätigten COVID-19-Fälle in Österreich ist drastisch zurückgegangen. Hygiene, Kontaktreduktion und erhöhte Vorsicht in der Bevölkerung haben die Ansteckungsrate deutlich reduziert – genau wie das von den agentenbasierten Computermodellen, entwickelt von TU Wien und ihrem Spin-Off dwh, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, seit Februar vorausgesagt worden war, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.

Doch noch ist die Corona-Krise nicht vorbei. Eine zweite Welle kann nicht ausgeschlossen werden. Die Computermodelle zeigen, dass es zwei besonders wichtige Faktoren gibt, von denen der Erfolg nun abhängt: Erstens weiterhin Hygiene und Kontaktreduktion – wir dürfen auch in den nächsten Monaten noch nicht zur üblichen Zahl physischer Kontakte zurückkehren. Zweitens: Eine große Zahl von Tests und schnelles Contact-Tracing und Containment sind der entscheidende Schlüssel zum Erfolg. Wenn eine COVID-19-Infektion festgestellt wird, müssen alle direkten Kontaktpersonen möglichst rasch isoliert werden.

Contact-Tracing

„Wir müssen weiterhin vorsichtig sein, denn im Grunde hat sich die Gefahr verglichen mit der Anfangsphase der Epidemie nicht verändert“, sagt Martin Bicher vom Simulationsteam TU Wien / dwh. „Von einer Herdenimmunität sind wir noch weit entfernt, weniger als 1 % der Menschen in Österreich sind immun. Das Virus ist auch nicht weniger ansteckend oder weniger gefährlich als noch im März. An eine vollständige Rückkehr zur Normalität früherer Zeiten ist daher nicht zu denken.“ Man kann allerdings herausfinden, mit welchen Maßnahmen die Krankheit eindämmbar ist, ohne dass unser gewohntes Leben allzu stark zu beeinträchtigt wird.

„Am Höhepunkt der COVID-19-Welle, mit fast 1000 neu nachgewiesenen Infektionsfällen pro Tag, war ein flächendeckendes Contact-Tracing noch nicht möglich“, sagt Niki Popper, Leiter des Simulationsteams. „Nun ist die Zahl der täglich neu nachgewiesenen Fälle so gering, dass in einer zweiten Phase Maßnahmen gelockert wurden. Die dritte Phase der Epidemie-Bekämpfung ist jetzt entscheidend: Nun ist Contact-Tracing das Mittel der Wahl, um Ausbreitungsnetzwerke zu unterbrechen.“

Das bedeutet, dass im Fall eines positiven Tests jene Personen ausgeforscht werden, die mit der erkrankten Person in engen Kontakt gekommen sind. Das betrifft im ersten Schritt Familienmitglieder, aber auch Kontaktpersonen am Arbeitsplatz und in der Schule. Im nächsten Schritt müssen auch Freizeittreffen einbezogen werden, und als zusätzlicher Schritt kann auch automatisches Contact-Tracing mit Hilfe einer mobilen App einen nützlichen Beitrag leisten. Potentiell Infizierte sollten sich jedenfalls in Quarantäne begeben, damit keine weiteren Personen angesteckt werden können.

„Die Rechnungen zeigen: Entscheidend ist, wie schnell dieses Contact-Tracing gelingt – also wie viel Zeit vergeht, zwischen der Meldung eines Verdachtsfalls und dem Beginn der Quarantäne für die Kontaktpersonen“, sagt Niki Popper. „Auf Basis von wissenschaftlicher Literatur zur typischen Reaktionszeit gehen wir derzeit in unserem Modell von einer mittleren Reaktionszeit von 3,8 Tagen aus. Diese Zeitspanne zu reduzieren ist enorm wichtig um die Gefahr einer zweiten Welle zu verringern.“

Weiterhin auf Abstand achten

Weil man die Reaktionszeit allerdings nie ganz auf null reduzieren kann, spielt weiterhin die Zahl der täglichen Kontakte eine wichtige Rolle. „In der Lockdown-Phase ging die Zahl der physischen Kontakte in Österreich um ca. 90 % zurück, derzeit sind wir noch etwa bei 50 % des vor der Corona-Krise üblichen Wertes“, sagt Popper. Das zeigen auch anonymisierte und aggregierte Mobilfunkdaten, die an der TU Wien im Rahmen eines durch den WWTF geförderten Projektes mit Prof. Allan Hanbury in die Simulation integriert werden. „Je stärker die Vorsicht in diesem Bereich zurückgeht, umso besser müssen Tracing und Containment funktionieren um das auszugleichen. Es ist möglich, aber es muss gut geplant werden, es müssen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen – und zwar jetzt.“

Entscheidungsträger_innen und die Bevölkerung haben es also nun in der Hand, eine zweite Welle zu verhindern – Entscheidungsträger_innen, indem sie die Testintensitäten erhöhen und Reaktionszeiten verhindern, die gesamte Bevölkerung, indem sie weiterhin auf Hygiene und Kontaktreduktion achtet. Die Computermodelle deuten darauf hin, dass wir uns derzeit genau im kritischen Bereich befinden, in der kleine Unterschiede den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben können.

In einem Szenario, das der derzeitigen Situation wohl recht nahe kommt, mit 3,8 Tagen Reaktionszeit und 50 % Kontaktreduktion, sagen die Modelle einen langsamen Wiederanstieg der COVID-19-Zahlen voraus. Wenn die Kontaktzahl wieder leicht ansteigt, etwa von 50 % auf 60 % des früheren Werts, dann ist auch eine Reduktion der Reaktionszeit auf 1.9 Tage nicht ausreichend. Dieses Szenario hätte einen Wiederanstieg der Krankheitsfälle zur Folge. Wenn es aber gelingt, die Kontaktzahl bei 50% zu stabilisieren und die Reaktionszeit des Contact Tracings auf durchschnittlich 1.9 Tage zu reduzieren, ergeben die Berechnungen einen Rückgang – die Situation wäre im Griff.

„Wir sehen, dass exakte Prognosen derzeit nicht möglich sind“, erklärt Niki Popper. „Aber die Modelle zeigen ganz klar, welche Maßnahmen nun nötig sind: Politik und Verwaltung müssen alles daran setzen, intensiv zu testen, beim Contact-Tracing schneller zu werden und klare Regeln und Prozesse zu definieren, wie Quarantäne lokal funktionieren kann. Gleichzeitig sollten wir alle unnötigen physischen Kontakte vermeiden.“

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