IMP: Kohesin: Ein Molekül wie eine Kirsche

Ein ringförmiges Molekül namens Kohesin sorgt bei jeder Zellteilung dafür, dass die Erbsubstanz zum exakt richtigen Zeitpunkt auf die entstehenden Tochterzellen aufgeteilt wird. Forscher am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien konnten nun erstmals im Elektronenmikroskop sichtbar machen, wie die geöffnete Form von Kohesin aussieht. Sie berichten ihre Erkenntnisse in der aktuellen Ausgabe des Journals SCIENCE.

Der Kohesin-Komplex und seine Funktion bei der Zellteilung wurden 1997 in der Gruppe von Kim Nasmyth am IMP entdeckt. Die Schlussfolgerungen aus den Analysen der Forscher waren spektakulär und ungewöhnlich: ein ringförmiges Molekül hätte demnach die Aufgabe, die verdoppelten Chromosomen wie ein Gummiband so lange zusammenzuhalten, bis der richtige Moment für die Teilung gekommen ist. Erst dann würde der „Verschluss“ freigegeben und die Träger der Erbinformation könnten sich auf die beiden neu entstandenen Zellen aufteilen.

Der am IMP gefundene Mechanismus wurde in der Folge nicht nur bestätigt, es wurden auch weitere wichtige Aufgaben von Kohesin bekannt. Tatsächlich sehen konnte man das physische Aufklappen des Kohesin-Rings jedoch nicht. Dieser Zustand ist in der intakten Zelle äußerst kurzlebig und daher nicht direkt zu erfassen.

Der Doktorand Pim Huis in ‘t Veld aus der Forschungsgruppe von IMP-Direktor Jan-Michael Peters fand nun in fünfjähriger Arbeit einen indirekten Weg, um das Kohesin in dem Augenblick abzubilden, in dem seine Ringform sich öffnet und die DNA-Stränge freilässt. Er musste dazu über den Umweg von Baculoviren und Raupenzellen ein synthetisches Kohesin-Molekül aus einzelnen Protein-Bausteinen zusammensetzen. Durch Mutationen brachte er das Ringmolekül dazu, in seine geöffnete Form überzugehen. Diesen Zustand konnte er mit 72 000-facher Vergrößerung im Transmissions-Elektronenmikroskop sichtbar machen. Die spektakulären Bilder zeigen eine fadenförmige Struktur mit zwei Armen, die an einer Art Scharnier verbunden sind. Pim Huis in ‘t Veld vergleicht sie mit einem Paar reifer Kirschen.

Für die Forschung im Bereich der Zell- und Strukturbiologie ist dieser Nachweis ein wichtiger Schritt zum genauen Verständnis der Vorgänge bei der Zellteilung. Das amerikanische Wissenschaftsjournal SCIENCE berichtet in seiner aktuellen Ausgabe daher ausführlich und garniert die Publikation gleichzeitig mit einer zweiten Arbeit zum Thema, die aus den Laboren von Kim Nasmyth (Oxford) und Jan Löwe (Cambridge) stammt.

Erkenntnisse über die genaue Funktion von Kohesin sind auch für die Medizin relevant. Zahlreiche Tumoren gehen mit Mutationen im Kohesin-Gen einher, darunter bestimmte Leukämie- und Blasenkrebs-Formen. Treten während der Zellteilung Fehler im Kohesin-Verhalten auf, so können schwerwiegende Chromosomen-Abweichungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) die Folge sein. Auch die mit dem Alter der Mutter abnehmende Fruchtbarkeit sowie spontane Fehlgeburten werden mit Kohesin-Schäden assoziiert.

Originalpublikation
Pim J. Huis in ’t Veld et al.: Characterization of a DNA exit gate in the human cohesin ring. SCIENCE, 21. November 2014.

Illustration
Eine Abbildung zur Aussendung finden Sie auf der IMP-Website unter www.imp.ac.at/pressefoto-open_cohesin/

Legende
Öffnung des Kohesin-Rings ermöglicht Trennung der Chromosomen. Um die genetische Information der Zelle gleichförmig auf die Tochterzellen zu verteilen, heften sich Mikrotubuli (grün) an die Zentromere (rot) der Chromosomen und ziehen sie in entgegengesetzte Richtungen. Der ringförmige Molekülkomplex Kohesin wirkt diesem Zug solange entgegen, bis alle Chromosomen am Zelläquator aufgereiht sind. Erst dann öffnet sich der Ring und die Chromosomen weichen auseinander. Die offene Form des Kohesins konnte nun erstmals im Elektronenmikroskop dargestellt werden (Hintergrundbild). Abbildung: IMP

Über das IMP
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung. Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 Forscherinnen und Forscher aus über 30 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Die bearbeiteten Themen umfassen die Gebiete der Zell- und Molekularbiologie, Neurobiologie, Krankheitsentstehung sowie Bioinformatik. Das IMP ist Gründungsmitglied des Vienna Biocenter.

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