FWF: Mögliche Abkürzung auf dem Weg zu Antibiotika

Eine minimale – und daher unbedenkliche – Dosis eines Antibiotikums gekoppelt mit hochsensitiver Messtechnik könnte Zeit und Geld bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe sparen. Die Abkürzung liegt in einer früheren Prüfung der Pharmakokinetik, also dem Nachweis, dass der potenziell antibakterielle Wirkstoff an seinem Einsatzort überhaupt aktiv werden kann.

„Die Effektivität von Antibiotika machen sie zu einem schlechten Geschäft“, erklärt Markus Zeitlinger. Er ist Facharzt für Innere Medizin und auf Arzneimittelforschung spezialisiert. Das klingt paradox, war die Entdeckung und Entwicklung des Antibiotikums doch ein Meilenstein in der Medizingeschichte, das bis heute vielen Menschen das Leben gerettet hat. Dennoch ziehen sich viele Pharma-Firmen aus dem Feld zurück, weil die Entwicklung der Wirkstoffe nicht lukrativ ist. Antibiotika wirken bei bakteriellen Infektionen und töten je nach Wirkstoff spezifische Keime schnell ab. Wie alle lebendigen Organismen verändern sich Bakterien und können resistent werden. Weil parallel dazu etablierte Antibiotika sorglos oder nicht sachgerecht verwendet werden, werden sie zunehmend unwirksam.

„Die Entwicklung von Antibiotika bis zur Zulassung ist gleich aufwändig, wie die von Krebsmedikamenten. Sie werden aber nur kurz verabreicht. Zudem werden neue Antibiotika restriktiv gegen multiresistente Keime eingesetzt, was die Einnahmen ebenfalls schmälert“, beschreibt der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien die Ausgangslage. Die gute Nachricht: In einer Studie hat seine Forschungsgruppe erfolgreich ein Verfahren zur beschleunigten Entwicklung von Antibiotika getestet.

Dieses Wissen setzt Zeitlinger aktuell auch in der Suche nach geeigneten Medikamenten gegen das Coronavirus ein. In Kooperation mit verschiedenen Unternehmen und Forschenden arbeitet der Mediziner an einer Vielzahl an Projekten für beschleunigte Entwicklungsverfahren für bereits verfügbare und vielversprechende Wirkstoffe gegen Sars-CoV-2.

Abkürzung bei der Pharmakokinetik

Die häufigsten bakteriellen Infekte sind Lungenentzündungen, Weichteilinfektionen, Harnwegsinfekte und Entzündungen im Bauchraum, wie sie nach einer Operation auftreten können. Für zwei dieser vier Einsatzorte von Antibiotika wurde in der vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie eine Abkürzung im Entwicklungsprozess gesucht und gefunden. „Herde und bakterielle Biofilme sitzen am häufigsten in der Lunge oder zwischen den Körperzellen. Antibiotika brauchen also eine gewisse Konzentration in einem bestimmten Gewebe im menschlichen Körper, damit sie einen Keim abtöten können“, beschreibt Markus Zeitlinger den Fachbegriff Pharmakokinetik in einfachen Worten.  Die Pharmakodynamik beschreibt vereinfacht gesagt, ob der Keim in Kontakt mit dem Antibiotikum abstirbt. Diese beiden Faktoren gemeinsam ermöglichen im Fall eines potenziellen antibiotischen Wirkstoffs die Vorhersage der Wirksamkeit, was den Entwicklungsprozess beschleunigen und damit attraktiver machen kann.

Auf dem herkömmlichen Weg wird die Pharmakodynamik in vitro geprüft. Vor der Prüfung der Pharmakokinetik (i.e. kommt der Wirkstoff an den gewünschten Wirkort) folgen Tierversuche, um die Unschädlichkeit des Wirkstoffs für den menschlichen Körper sicherzustellen. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass sich die Pharmakokinetik für den Wirkort Lunge und Weichteile mit einer ungefährlichen Mikrodosis und hochsensitiven Nachweismethoden zeigen lässt. So könnte künftig rascher entschieden werden, ob ein Wirkstoff weiter getestet oder verworfen wird.

Gleiche Kinetik bei minimaler Dosis

In dem zweijährigen Klinischen Forschungsprojekt (2017-2019) wurde die Pharmakokinetik in den Zielgeweben anhand eines bereits zugelassenen Medikaments geprüft. Die Forschungsfrage dahinter: Hätte es funktioniert das Antibiotikum mit dem neuen Ansatz zu entwickeln? 18 gesunden Freiwilligen wurde nach ihrem informierten Einverständnis das Antibiotikum Ciprofloxacin intravenös verabreicht. Einmal wurde den Probanden die normale Dosis gespritzt. Und einmal eine garantiert ungefährliche Mikrodosis markiert mit radioaktivem C14. Die Markierung ermöglicht trotz der geringen Konzentration den Wirkstoff in Lunge und Gewebe mittels beschleunigter Massenspektrometrie (AMS) aufzuspüren.

Für den Nachweis der Pharmakokinetik im Gewebe wurde bei den sedierten Probanden eine Lungenspülung vorgenommen (Broncho Alveolare Lavage/BAL) und der Wirkstoffspiegel in der Spülflüssigkeit aus der Lunge gemessen. Mit einer Mikrosonde im Oberschenkel (Mikrodialyse) konnte gemessen werden, wieviel frei verfügbares Antibiotikum in der Flüssigkeit zwischen den Gewebezellen enthalten ist, um die Keime abzutöten. Nur drei Institute weltweit haben ein AMS-Analysegerät, das in einer aufbereiteten Schaufel Erde zwei radioaktive Atome detektieren kann. Die Uniklinik in Wien kooperierte für die Tests mit dem Institut TNO in Zeist (Niederlande).

Frühe Vorhersage der Wirksamkeit

Die klinische Studie ist bereits abgeschlossen und allen Probanden geht es gut. „Wir konnten mit der Mikrodialyse zeigen, dass schon eine unbedenkliche Mikrodosis die Pharmakokinetik im Gewebe gut beschreibt. Sie war proportional zu jener der üblichen Dosis – also unabhängig von der Wirkstoffmenge“, erklärt Markus Zeitlinger. Für die Lungenspülflüssigkeit gelang der Nachweis des Wirkorts ebenfalls. Die genaue Korrelation wird gerade ein zweites Mal gemessen. Wenn mit einem Bruchteil der üblichen Dosis die Vorhersage der Wirksamkeit sauber gelingt, kann die Pharmakodynamik simuliert und verfeinert werden, um die wirksame Dosis zu bestimmen. „Wir hoffen so die Forschung an lebenswichtigen Arzneistoffen schneller, attraktiver und effektiver zu machen. Die Kombination von Mikrodosis und Gewebspharmakokinetik kann in der Entwicklung von potenziellen Antibiotika bis zu zwei Jahre Zeit und zwei Millionen Euro einsparen“, so der Klinische Pharmakologe. In einer nächsten Untersuchung will sein Team prüfen, ob man mit dem Mikrodosing-Konzept auch eine Salbe untersuchen kann.

Zur Person

Markus Zeitlinger leitet die Sektion Clinical Pharmacokinetics /Pharmacogenetics and Imaging an der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien, seit Oktober 2015 ist er Klinikleiter. Der Internist ist Berater der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und Leiter des Exekutivkomitees der Pharmacokinetics/Pharmacodynamics of Anti-Infectives Study Group in der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID).

Beitrag:

Oesterreicher, C. Eder1, B. Reiter, T. Stimpfl, E. Van Duijn, W. Vaes, B. Wulkersdorfer, P. Matzneller, D. Marhofer, P. Marhofer, M. Zeitlinger: Microdosing as a tool to enhance clinical development of novel antibiotics: a tissue and plasma PK feasibility study: ECCMID, Madrid 2018 (pdf)

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