CeMM: Immunabwehr und Schutz der eigenen Zellen - Hauptregulator des Leberstoffwechsels während der Infektion identifiziert

ForscherInnen des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben einen Schlüsselmechanismus identifiziert, der erklärt, wie antivirale Immunantworten den Leberstoffwechsel umprogrammieren können. Die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Entzündung und Leberstoffwechsel bei chronischer Virusinfektion zeigte, dass das antivirale Zytokin Typ I Interferon (IFN-I) ein Hauptregulator der Stoffwechselwege in Leberzellen ist. Die ForscherInnen konzentrierten sich insbesondere auf den Harnstoffzyklus, einen zentralen Stoffwechsweg und stellten fest, dass dieser während einer Virusinfektion durch IFN-I gestört wird. Dies führte zu veränderten Konzentrationen von Metaboliten im Blut, was in weiterer Folge die antivirale Immunabwehr regulierte und den Gewebsschaden in der Leber reduzierte. Ihre Ergebnisse wurden vor kurzem in der international renommierten Wissenschaftszeitschrift Immunity veröffentlicht.

Die Leber ist ein entscheidendes Organ für den systemischen Stoffwechsel in unserem Körper. Neben dem Umsatz von Biomolekülen und dem Arzneimittelstoffwechsel besteht die Hauptfunktion der Leber im Entfernen giftiger Substanzen aus dem Organismus. Hepatozyten, auf Deutsch Leberzellen, sind der häufigste Zelltyp und die funktionelle Einheit der Leber. Sie sind metabolische Kraftwerke im gesunden Organismus, sind aber auch eine zentrale Schaltstelle der Immunabwehr bei Infektionen. Als solche haben sie das Potenzial, auf eine Reihe von Zytokinen - das sind kleine Moleküle, die für die Koordination von Immunantworten unerlässlich sind - zu reagieren.

In vorangegangenen Studien konnte gezeigt werden, wie Zellen des Immunsystems ihren Stoffwechsel bzw. Metabolismus anpassen müssen, um Krankheitserreger oder Krebs effektiv zu bekämpfen. Darauf aufbauend untersuchten Andreas Bergthaler und seine Forschungsgruppe am CeMM diese sogenannten immunmetabolischen Veränderungen während einer Infektion im gesamten Organismus. Dabei konzentrierten sich die WissenschaftlerInnen insbesondere auf die Leber aufgrund ihrer zentralen Rolle bei der Kontrolle von Metaboliten im Blut und des systemischen Metabolismus.

Die komplexen beteiligten Prozesse haben die ForscherInnen anhand des LymphozytärenChoriomeningitis-Virus (LCMV) analysiert – ein Modellsystem für chronische Virusinfektion und Hepatitis. In den letzten 80 Jahren hat die Forschung mit diesem Infektionsmodell zu bahnbrechenden Erkenntnissen in der Immunologie und zu insgesamt drei Nobelpreisen geführt. Darunter befindet sich auch der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2018, den James Allison und Tasuku Honjo für die revolutionäre Entdeckung erhielten, wie im Rahmen von Immuntherapien körpereigenen Immunkillerzellen oder CD8-T-Zellen zur Bekämpfung von Krebszellen umprogrammiert werden können.

Die vorliegende Studie von Alexander Lercher, Anannya Bhattacharya et al. ist das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit ForscherInnen der Medizinischen Universität Wien und der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Österreich), sowie der Medizinischen Hochschule Hannover (Deutschland), des Kantonsspitals St. Gallen (Schweiz) und der Firma Bio-Cancer Treatment International Ltd (China). Die Studie verwendete systembiologische Methoden, um möglichst alle molekularen und metabolischen Veränderungen in der Leber während einer chronischen Infektion zu kartieren. Neben den erwarteten entzündlichen Veränderungen identifizierten die WissenschaftlerInnen dabei überaschenderweise starke Veränderungen im Leberstoffwechsel. Sie konnten zeigen, dass viele zentrale Stoffwechselwege, darunter der Harnstoffzyklus, bei einer Infektion unterdrückt werden. Der Harnstoffkreislauf ist wesentlich, um toxisches Ammoniak aus dem Körper zu entfernen und Hirnschäden zu vermeiden. Erstaunlicherweise identifizierten die ForscherInnen den antiviralen Zytokin-Signalweg von TypI-Interferonen (IFN-I) als Regulator des Harnstoffzyklus. Dies führte zu veränderten Konzentrationen der Metabolite Arginin und Ornithin im Blut. „Ein Schlüsselexperiment war für uns, dass wir, nachdem wir den Rezeptor für IFN-I auf der Oberfläche von Hepatozyten entfernt haben, diese metabolischen Veränderungen nicht mehr sahen“, sagt Alexander Lercher, erster Co-Autor der Studie und Doktorand im Labor von CeMM-Forschungsgruppenleiter Andreas Bergthaler. Es zeigte sich, dass die systemischen Veränderungen von Arginin und Ornithin die antiviralen CD8-T-Zellen inhibieren und dadurch Leberschäden reduzieren.

Eine der wichtigsten Entdeckungen dieser Studie war die Rolle von IFN-I- als wichtiger Regulator von Stoffwechselprozessen in Hepatozyten nach Infektion. „Wir waren wirklich überrascht, dass ein antivirales Molekül so wichtige biologische Prozesse wie den Harnstoffzyklus während einer Infektion beeinflusst“, sagt Michael Trauner, Co-Autor der Studie und Leiter der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Universität Wien. Die Ergebnisse werfen ein neues Licht darauf, wie sich das körpereigene Immunsystem entwickelt hat, um den Leberstoffwechsel so zu regulieren, dass er die Reaktionen der CD8-T-Zellen steuert und gleichzeitig die Schädigung des Kollateralgewebes während der Infektion verringert. Andreas Bergthaler: „Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet des systemischen Immunstoffwechsels. Sie zeigt aber auch die zentrale Rolle der Leber für unser Immunsystem und wie Organe des Körpers über Metaboliten kommunizieren.“ In der Zukunft könnten solche Erkenntnisse therapeutisch genutzt werden, um in die Regulation von Stoffwechselprozessen einzugreifen und gezielt die Funktion von CD8-T-Zellen in verschiedenen Krankheiten wie Infektionen, Krebs und Autoimmunität zu programmieren.

Die Studie

„Type I interferon signaling disrupts the hepatic urea cycle and alters systemic metabolism to suppress T cell function“ erschien in der Zeitschrift Immunity am 26. November 2019. DOI: 10.1016/j.immuni.2019.10.014

Autoren:

Alexander Lercher*, Anannya Bhattacharya*, Alexandra M. Popa, Michael Caldera, Moritz F. Schlapansky, Hatoon Baazim, Benedikt Agerer, Bettina Gürtl, Lindsay Kosack, Peter Májek, Julia S. Brunner, Dijana Vitko, Theresa Pinter, Jakob-Wendelin Genger, Anna Orlova, Natalia Pikor, Daniela Reil, Maria Ozsvár-Kozma, Ulrich Kalinke, Burkhard Ludewig, Richard Moriggl, Keiryn L. Bennett, Jörg Menche, Paul N. Cheng, Gernot Schabbauer, Michael Trauner, Kristaps Klavins, Andreas Bergthaler * geteilte ErstautorInnen

Fördermittel:

Die Studie wurde von der European Research Council (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizon 2020“ der Europäischen Union (Förderungsvertrag Nr. 677006, „CMIL“ an Andreas Bergthaler) gefördert. Alexander Lercher, Anannya Bhattacharya und Julia S. Brunner wurden durch ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstützt. Natalia Pikor wurde durch ein Ambizione-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds (PZ00P3_180011 / 1) unterstützt.

Andreas Bergthaler hat Veterinärmedizin in Wien studiert. Nach seinem Doktorat bei Hans Hengartner und Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel an der Universität Zürich und der ETH Zürich folgten postdoktorale Forschungsaufenthalte an der Universität Genf und am Institute for Systems Biology in Seattle. Seit 2011 ist er Forschungsgruppenleiter am CeMM und ist ERC Start Preisträger.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.oeaw.ac.at 

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