CeMM: Entdeckung neuer Zusammenhänge zwischen SLC-Transportern und zytotoxischen Arzneimitteln in menschlichen Zellen

ForscherInnen des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben untersucht wie SLCs, eine große Gruppe von Membrantransport-Proteinen, die Wirkung und Potenz zytotoxischer Arzneimittel beeinflussen, die etwa bei der Behandlung von Leukämie und anderen Krebsarten zum Einsatz kommen. Ihre im Fachjournal Nature Chemical Biology veröffentlichte Studie enthüllt die Abhängigkeit der meisten untersuchten Arzneimittel von der Funktion mindestens eines SLCs. In manchen Fällen musste der Transporter für das Arzneimittel in die Zelle eindringen, in anderen Fällen lieferte er kleine Moleküle (Metaboliten), welche für die Arzneimittelwirkung bzw. für die Zellreaktion auf das Arzneimittel maßgeblich sind. Diese Erkenntnisse geben Aufschluss über die biologischen Funktionen der Transporter und bereiten den Weg für die Entwicklung zukünftiger Präzisionstherapien.

Solute Carriers (SLCs) stellen mit mehr als 400 Arten, die sich in 65 Familien einordnen lassen, die größte Familie von Transmembrantransportern im menschlichen Genom dar. Ihnen kommt bei der Regelung des Zellstoffwechsels eine Schlüsselrolle zu und sie steuern essentielle physiologische Funktionen wie die Nährstoffaufnahme, den Ionentransport und die Abfallbeseitigung. SLCs sind beim Menschen für die Aufrechterhaltung eines stabilen inneren Körperzustands (bekannt als Homöostase) unverzichtbar. Das Vorhandensein genetischer Variationen (Polymorphismen) bei SLCs wird mit verschiedenen Krankheiten wie Gicht oder Diabetes in Verbindung gebracht, während Genmutationen mit buchstäblich hunderten von Störungen assoziiert werden, darunter viele Stoffwechseldefizite und seltene Krankheiten.

Es hat sich gezeigt, dass Solute Carriers sowohl als Wirkstofftargets dienen, sowie auch Pforten für die Wirkstoffaufnahme in bestimmte Organe darstellen. Jedoch mangelt es trotz jahrzehntelanger Forschung nach wie vor an systematischen Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen Transporter und Arzneimittel in menschlichen Zellen. Die Entschlüsselung, wie bestimmte Medikamente in menschliche Zellen gelangen und wie der Zellstoffwechsel sie beeinflusst, ist der Schlüssel zu einem besseren Verständnis der Nebenwirkungen und Grenzen heutiger Arzneistoffe und damit zur Entwicklung wirksamerer Arzneimitteltherapien in der Zukunft.

Aufbauend auf einer früheren Studie (Winter et al. Nat Chem Biol, 10, S. 768-773, 2014), in der gezeigt wurde, dass für die Aufnahme der zytotoxischen Substanz YM-155 ein einziges SLC (SLC35F2) erforderlich ist, haben Giulio Superti-Furga und seine Kollegen am CeMM nun eine systematischere Untersuchung zur Rolle der SLCs bei der Regulierung einer großen Reihe unterschiedlicher zytotoxischer Substanzen durchgeführt. Ihr Ziel war es, zu untersuchen, „wie oft“ und „wie“ SLC-Transporter die Wirkung eines bestimmten Arzneimittels beeinflussen.

Die CeMM-ForscherInnen erstellten in ihrer Studie eine CRISPR/Cas9-orientierte, speziell auf 394 SLCs abgestellte Bibliothek und setzten diese ein, um SLCs zu ermitteln, welche die Aktivität von 60 chemisch unterschiedlichen, großteils klinisch geprüften, zytotoxischen Substanzen beeinflussen. Sie ermittelten, dass etwa 80% der geprüften Arzneimittel eine Abhängigkeit von mindestens einem SLC zeigen. Zur weiteren Validierung dieser Ergebnisse überprüften die Wissenschaftler SLC-ArzneimittelWechselwirkungen mit Hilfe von Aufnahmestudien und Transkriptomik-Ansätzen. „Der Einsatz einer maßgefertigten Bibliothek mit Fokus auf SLCs war entscheidend dafür, dass es uns gelang, eine große Anzahl an Substanzen zu untersuchen und dadurch hunderte SLC-Arzneimittel-Assoziationen aufzuzeigen und viele neue Einblicke in die Biologie von SLCs und Arzneimittelmechanismen zu liefern“, so Enrico Girardi, CeMM Senior Postdoctoral Fellow und Erstautor der Studie.

Die aktuelle Studie ist das Ergebnis einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit mit ForscherInnen der Pharmakoinformatik Forschungsgruppe von Gerhard Ecker an der Universität Wien sowie der Gruppe von Stefan Kubicek am CeMM. Sie liefert nicht nur ein gewichtiges, validiertes Argument für die Unverzichtbarkeit von SLCs für die zelluläre Aufnahme und die Wirkung eines Arzneimittels, sondern stellt auch eine experimentell abgesicherte Reihe von SLC-Arzneimittel-Assoziationen für mehrere klinisch relevante Substanzen bereit. Die von den CeMM ForscherInnen gelieferten Nachweise bereiten den Weg für weiterführende Studien der genetischen Determinanten der Arzneimittelwirkung und, vor allem, der Aufnahme in die menschlichen Zellen. „Diese Studie lässt starke Zweifel daran aufkommen, dass die allgemein akzeptierte Vorstellung, nach der die meisten Arzneimittel einfach durch die Zellmembran diffundieren, um in die Zellen einzudringen, richtig ist, und unterstreicht die zunehmend anerkannte Notwendigkeit einer systematischen Untersuchung der biologischen Funktionen von SLCs“, berichtet Giulio Superti-Furga, Wissenschaftlicher Direktor von CeMM und Letztautor der Studie. Die Gewinnung weiterer Erkenntnisse über die Art und Weise, wie Transporter die Aufnahme und Wirkung von Arzneimitteln in Tumore und Gewebe beeinflussen, erlaubt den Wissenschaftlern, Resistenzmechanismen vorherzusagen und diesen entgegenzuwirken, um die wirksamsten Präzisionstherapien zu entwickeln. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass ein Verständnis der Beziehung zwischen der Expression von SLCs, dem zellulären/organismischen Metabolismus und Ernährung in Zukunft die Eröffnung neuer therapeutischer Wege ermöglichen wird.

Die Studie "A widespread role for SLC transmembrane transporters in resistance to cytotoxic drugs“ wurde am 9. März 2020 in Nature Chemical Biology veröffentlicht. DOI: 10.1038/s41589-020-0483-3 

Autoren:

Enrico Girardi, Adrián César-Razquin, Sabrina Lindinger, Konstantinos Papakostas, Justyna Konecka, Jennifer Hemmerich, Stefanie Kickinger, Felix Kartnig, Bettina Gürtl, Kristaps Klavins, Vitaly Sedlyarov, Alvaro Ingles-Prieto, Giuseppe Fiume, Anna Koren, Charles-Hugues Lardeau, Richard Kumaran Kandasamy, Stefan Kubicek, Gerhard F. Ecker, Giulio Superti-Furga

Förderung:

Die Studie wurde mit Unterstützung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizont 2020“ der Europäischen Union (Fördervereinbarung Nr. 695214 zugunsten von Giulio Superti-Furga), des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF I2192-B22 ERASE; FWF P29250-B30 VITRA) und eines Marie Sklodowska-Curie Fellowships für Enrico Girardi (MSCA-IF-2014-661491) finanziert.

Die Forschung im Kubicek-Labor wird im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizont 2020“ der Europäischen Union (ERC-CoG-772437) vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort und der Österreichischen Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung, vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF F4701) und vom Europäischen Forschungsrat (ERC) unterstützt.

Die Pharmakoinformatik Forschungsgruppe (Labor Ecker) bedankt sich für die Förderung durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF AW012321 MolTag).

Giulio Superti-Furga ist Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Er wurde an der Universität Zürich, bei Genentech, am IMP Wien und am EMBL Heidelberg zum Molekularbiologen ausgebildet. Er erhielt vier Förderungen des Europäischen Forschungsrates, ist Mitglied von fünf wissenschaftlichen Akademien und hat mehr als 200 Publikationen veröffentlicht. CeMM, dem er seit 2005 als Direktor vorsteht, liegt mitten im Campus des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, wo er, zusammen mit etwa 200 Wissenschaftlern und Ärzten, der klinischen Welt eine genomische und systemische Sicht näherbringt, um die medizinische Praxis zu verbessern. Für CeMM treibt er einen einzigartigen Modus der Super-Kooperation voran, in dem Biologie mit Medizin, Labor-Experimente mit Computertechnologie, Entdeckung mit Translation und Wissenschaft mit Gesellschaft und Kunst verbunden werden. Zu den aktuellen Interessensgebieten zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin und die Rolle des menschlichen Transportoms in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Er ist wissenschaftlicher Koordinator des Innovative Medicine Initiative Konsortiums „RESOLUTE“, das sich der Deorphanisierung von SLC-Transportern verschreibt.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.oeaw.ac.at 

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